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2. DIE WIRTSCHAFTLICHE ORGANISATION

Die wirtschaftliche Organisation zeigt alle Phasen, die andere Industrien viel langsamer durchlaufen haben. Auf weniger als 20 Jahre drängt sich hier die Entwicklung von der kleinen Privatgründung bis zur Aktiengesellschaft und zur Trustbildung zusammen, und neben der Tendenz zur Konzentration von nebeneinanderstehenden Teilen wirkt auch die andere auf die vertikale Zusammenfassung; doch scheint die Vereinigung der verschiedenen Stufen der Produktion (wenn darunter der ganze Prozeß bis zum Übergang des Films an die Konsumenten—das Kinopublikum—verstanden wird) der Eigenart des Produktes nicht so zu entsprechen wie die erstere.

Die Verbreitung der ersten Films geschah durch Wanderkinos; auch erschienen einzelne lebende Photographien im Varieté . Im Varieté hat sich in den romanischen Ländern der Kino auch weiter entwickelt; nur haben die kinematographischen Nummern die übrigen Vorführungen fast ganz verdrängt. Das Varietétheater hat sich zum Kinopalast gewandelt, und die Akrobaten, Komiker und Chansonetten füllen nunmehr die Pausen aus. In Deutschland ging es zunächst ähnlich; dann aber trennten sich hier Kino und Varieté und kämpften um das Feld. Heute scheint in einer Kombination von Bierkonzert und von artistischen Darbietungen, in den großen ,,Konzerthallen", das Varieté eine Auferstehungsform gefunden zu haben. Im allgemeinen aber mußte es geschlagen abziehen—der eigentliche Vorläufer der modernen Lichtbildbühne ist damit bei uns der Wanderkino. Die Films wurden hier fest angekauft, und das ständig wechselnde Publikum machte häufige Programmänderungen überflüssig. Ohne weitere Umstände tauschten die Theaterbesitzer von Zeit zu Zeit ihr Repertoire. — Das war die primitive Form. Aber mit der Gründung stehender Theater entstand ein Zwischenglied, der Filmverleiher. Diese Händler kauften die Films in den Fabriken an und vermieteten sie an die Theater. Ursprünglich waren das in finanzieller Hinsicht sehr schwache Unternehmungen. Die Theaterbesitzer mußten bei ihnen für die vermieteten Films Kaution hinterlegen,


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und so wurde das nötige Kapital zum Ankauf neuer Stücke geschaffen.

[Randbemerkung: Die Filmfabriken] So wuchs die Gliederung der Produktion. Die Filmfabriken waren von vornherein finanziell am besten fundiert und haben deshalb auch auf das Schicksal der beiden andern Gruppen mitbestimmend eingewirkt, obwohl alle drei oft scharfe Interessengegensätze haben, was jeglichen Zusammenschluß zur Verteidigung der Gesamtindustrie erschwert hat. Verschiedene dieser Fabriken, und unter ihnen gerade die bekanntesten Weltfirmen: Pathé, Gaumont, Messter, Edison, sind aus Unternehmungen der feinmechanischen Industrie hervorgegangen. Sie konstruierten optische und Projektionsapparate, und auch heute noch bildet diese Fabrikation einen wesentlichen Teil der Unternehmungen. Mit der Eingliederung dieses neuen Industriezweiges, der kinematographischen Aufnahme, erlebten alle einen ungeahnten Aufschwung, der dann wieder auf den Apparatebau zurückwirkte und eine ganz neue Ära brachte. Man erkennt das an der Entwicklung der Hauptfirmen.

TABELLE II

Stammkapital der Hauptfirmen:
 
Französische:
Pathé gegr. 1898. 

1907

1911

1912

1 000 000 Fr. 

6 000 000 Fr.

15 000 000 Fr.

30 000 000 Fr.

Gaumont gegr. 1885 

1906

1912

2 500 000 Fr. 

3 000 000 Fr.

Eclair gegr 1904 1 250 000 Fr.
Italienische:
Cines A.G. gegr 1906 

1912

1 000 000 L 

3 750 000 L

Ein ungeheurer Kapitalaufschwung in den letzten 15 Jahren! dabei steht Frankreich in der Größe der Betriebe an erster Stelle und allen andern voran Pathé Frères. Ihr Gesamtjahresumsatz beträgt annähernd 40500 Millionen, der allerdings nur zum Teil auf die Filmfabrikation entfällt. Doch übertrifft diese mit 80000 m täglich alle anderen Firmen weit. 80 km sind aber doppelt soviel, als der gesamte Filmverbrauch in Deutschland in derselben Zeit.1

Die Konzentrationsbewegung hat früh eingesetzt und, ausgehend natürlich von den größeren Betrieben, eine Reihe von kleinen aufgesogen, Doch ist der Film ein zu differenziertes Produkt, um sich zur reinen Massenfabrikation zu eignen. Und daraus ist die eigenartige heutige Organisation der Produktion herausgewachsen. Man trug der Besonderheit des Films Rechnung, der Notwendigkeit, ihn zu indi-


1Nach der Länge der Films gemessen, die täglich der Berliner Zensur vorgelegt werden 


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vidualisieren, und suchte die Schematisierung des Inhalts, die Folge einer örtlichen Produktionskonzentration der Herstellung gewesen wäre, aufzuhalten , zunächst dadurch , daß man in den alten aufgesogenen Fabriken selbständig weiter arbeiten ließ. Und man ging dann weiter über zu systematischer geographischer Verteilung der Produktion bei organisatorischer und finanzieller Konzentration derselben. Im November 1912 (kurz nach Zustandekommen der Vertrustung) wurden von Pathé Frères Filialgründungen mit je einem Stammkapital von 100 000 M. in München, Karlsruhe, Frankfurt a. M. und Düsseldorf, in Köln, Hamburg, Leipzig, Danzig und Posen geschaffen. Sie gingen zum Teil aus Verleihgeschäften hervor, die schon früher von Pathé Fréres finanziert worden waren. Von den gleichen Gesichtspunkten aus werden von allen größeren Firmen im Ausland selbständige Theatertruppen unterhalten. So z. B. haben fast alle vollständige Ensembles in Amerika. Diejenigen, die großen Absatz nach den Vereinigten Staaten haben, sind schon deshalb dazu gezwungen, weil das amerikanische Publikum sehr chauvinistisch ist und einen Film ablehnt, der allzu deutlich die Spuren seiner ausländischen Herkunft zeigt. Bei diesen rein finanziellen Konzentrationen beruht die Aufgabe des Stammhauses als einer Zentralstelle hauptsächlich in den kommerziellen Funktionen. Diese Arbeitsteilung bedeutet aber zu gleicher Zeit eine Ausschaltung von Zwischengliedern. Denn die Produzenten treten durch ihre zahlreichen Filialen in direkte Verbindung mit den Konsumenten. Bei der Firma Pate‚ ist diese Entwicklung schon bis zu Ende durchgeführt. Die Verleiher werden hier schon wieder herausgedrängt und, soweit sie nicht über rein distributive Funktionen hinaus selbst zu Produzenten werden, in ihrer Gesamtexistenz gefährdet.

Die Produktion wuchs dabei ungeheuer. Die Aussicht auf großen Gewinn lockte immer neue Unternehmer, so daß heute von einer Überproduktion gesprochen werden kann. Besonders ältere Films finden keinen Absatz trotz des geringeren Preises, weil das Publikum stets nur die neuesten Schlager sehen will. Eine Einschränkung der Produktion ist aber bei der großkapitalistischen Form der Industrie schwer zu bewerkstelligen. Die einmal vorhandenen Kräfte müssen ausgenutzt werden. Dabei hat man nicht in erster Linie an die technischen Einrichtungen zu denken, sondern an das Heer von Schauspielern, von Regisseuren und Literaten, deren hohe Gagen nur durch möglichst großen Umsatz herausgewirtschaftet werden können.


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Um günstigere Absatzbedingungen zu schaffen und die scharfe Konkurrenz, die zu einem Vernichtungskampf führen mußte, auszuschalten, tauchte im Laufe der letzten Jahre immer wieder der Gedanke eines Zusammenschlusses in allen möglichen Formen auf. Amerika ist in dieser Entwicklung vorausgegangen, und die Filmindustrie ist da schon seit fünf Jahren in zwei Trusts organisiert. Allerdings lagen die Ursachen nicht ganz so wie in Deutschland. Bis 1907 wurde der amerikanische Markt fast ganz und gar vom Ausland versorgt. Damals entstanden in Amerika die ersten Filmfabriken, die nun durch alle möglichen Mittel versuchten, die ausländische Konkurrenz aus dem Lande zu verdrängen. Die ersten, die diesen Druck recht schmerzlich fühlten, waren natürlich die Filmverleiher, die die ausländischen Films zu den bisherigen Preisen nicht mehr unterzubringen vermochten; von ihnen ging deshalb der Ruf nach Zusammenschluß aus, um die verschiedenen Mißstände zu beseitigen. Weiter waren es die europäischen Produzenten selbst, die ihren Absatz nach Amerika bedroht sahen. Die geschädigten Firmen, an der Spitze Pathé Frères, schlossen sich im November 1907 mit den amerikanischen Filmverleihern zum ,,American moving picture Trust" zusammen. Dem traten auch die anderen Weltfirmen Edison, Gaumont, Eclipse, Urban und Radios bei. In diesem Verband bedeuteten die Stimmen der Filmverleiher bald immer weniger, und der Trust dient heute in der Hauptsache den Interessen der Fabrikanten. 1908 traten alle übrigen Firmen zu einem Gegentrust, zur ,,Manufacturers Association" zusammen, der neben dem anderen seine Macht. behauptet hat. So ist der amerikanische Filmmarkt unter diese beiden Trusts aufgeteilt in der Weise, daß der erstere der Lieferant von etwa 2/3 der vorhandenen 14000 Kinotheater ist. Um von diesen beiden Trusts, die scheinbar die Theaterbesitzer zu sehr ihre Macht haben fühlen lassen, loszukommen, hat sich im Sommer 1912 eine Einkaufsgenossenschaft gebildet, die die Films dann untereinander austauschen wollen.

Ähnliche Tendenzen zur Monopolisierung des Handels tauchten im Frühjahr 1911 auch in Deutschland auf. Durch Schäden im Filmverleihgeschäft war der Anstoß dazu gegeben, und in den Fachzeitschriften suchte man für eine Monopolisierung des Filmmarktes Stimmung zu machen. Die Hauptinteressenten waren die großen ausländischen Weltfirmen im Bunde mit den bedeutendsten deutschen Theatergesellschaften. Das Unternehmen - die Fiag - war angeblich glänzend finanziert, und wurde als Hauptkapitalist der bekannte nationalliberale Abgeordnete Paasche genannt. Aber die deutschen Filmfabriken, die noch in den


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Anfängen ihrer Entwicklung standen, sahen sich in ihrer Ausdehnungsmöglichkeit bedroht. Andererseits waren sie aber schon zu mächtig, um ohne sie einen Bund wagen zu können, besonders da sie die Theaterbesitzer, die sich natürlich der Willkür eines Trusts auf keinen Fall aussetzen wollten, hinter sich hatten. Doch die Idee wurde nur vorläufig begraben. Immer wieder tauchen in Fachzeitschriften Vorschläge und Mitteilungen über neue Formen wirksamer Interessenvertretung durch Syndikatsgründungen, Vertriebsgenossenschaften usw. auf . Auch der Anschluß der Fabrikanten an den allgemeinen Markenschutzverband war in Aussicht genommen, kam aber nicht zustande, weil dieser Zusammenschluß allein noch keinen wirksamen Schutz bedeutet hätte. Endlich im Sommer 1912 schien ein Weg gefunden, um die Interessen der Filmfabrikanten in Deutschland sicherzustellen. Die Mehrzahl der Firmen, mit Ausnahme von Pathé und einigen kleineren, schlossen sich auf Grund einer Konvention zur ,,freien Vereinigung der Kinofilmfabriken" zusammen. In dieser Konvention wurde derjenige Theaterbesitzer mit Boykott bedroht, der nicht ausschließlich Konventionsfilms kaufte. Doch die gegnerische Stellung von Pathé, sowie innere Schwierigkeiten genügten, um den Trust zu sprengen. Pathé hat sich seitdem von den Verleihgeschäften überhaupt unabhängig gemacht, indem er seine Erzeugnisse vollständig vom Markt zurückzog und gemeinsam mit den übrigen Antitrustfirmen jede Woche eigene Programme zusammenstellt und diese ohne jede Vermittlung an die Theater abgibt.

Interessant übrigens für die Stellung, die sich der Film, trotz aller Anfeindungen, Schritt um Schritt erworben hat, war die von der Konvention vorgesehene Form der Preisregulierung. Während früher die Stücke meterweise zum Durchschnittspreis von 1 M. verkauft wurden, sollte jetzt die Qualität als Maßstab dienen. Im allgemeinen hatten sich aber die Preise dadurch erhöht und stellten sich auf 1,40 M. pro Meter.

[Randbemerkung: Die Verleihgeschäfte] Dieser Konvention war von vornherein ein großer Teil der Filmverleiher wohl oder übel beigetreten, besonders diejenigen Gesellschaften, die neben dem Filmverleihgeschäft durch eigene Inszenierung von Dramen Einfluß auf die Produktion zu gewinnen suchten. Sie kamen in ihrer Eigenschaft als Verleiher und Produzenten in argen Konflikt. Doch gab es, besonders seit Pathé‚ seine Films vom Markt zurückgezogen hatte, gar keine Wahl mehr. Die reine Form der Verleihertätigkeit scheint sich durch die oben angedeutete Tendenz zur Zusammenfassung mehr und mehr zu verwischen.


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In der Regel kaufen die Verleiher einzelne Positive von den Fabriken, die dann in der gewünschten Anzahl angefertigt werden. Daraus stellen sie Programme zusammen und vermieten sie an die Theaterbesitzer. Um aber mehr Einfluß auf die Gestaltung des Marktes zu bekommen, gingen die Händler dazu über, einzelne Negative anzukaufen, um so ein Monopol für diese Stücke zu bekommen. Heute finden wir eine Reihe von Verleihinstituten, die eigene Theatertruppen unterhalten und selbst Dramen inszenieren. Die technische Fertigstellung verursacht weiter keine Schwierigkeiten, da sie in Form von Lohnindustrie oder in größeren Filmfabriken besorgt wird. Weil hier nun ein Unternehmergewinn fortfällt, werden diese Stücke meist unter billigerer Berechnung dem Normalprogramm beigefügt. Da das Publikum gerade derartige Schlager verlangt, sind die Theaterbesitzer gezwungen, solche Stücke einzeln zu mieten, und gerade die kleinsten Theater sind es, die durch große Quantität der Darbietungen sich in einen Konkurrenzkampf gebracht haben, der den finanziellen Erfolg ihrer Unternehmungen vermindert. Für die Programme selbst aber sind die Theaterbesitzer heute kaum mehr verantwortlich zu machen. Besonders die kleineren bekommen sie auf Grund einer Abmachung am Wechseltage, meist fertig zusammengestellt, zugeschickt. Die Miete richtet sich nach dem Alter, d. h. der Gebrauchszeit des Films und schwankt für ein Normalprogramm von etwa 7 Stücken zwischen 50 und 350 M.

[Randbemerkung: Die Theater] Diese dritte Produktionsstufe, die der Theater, ist gegenwärtig in einer inneren Umwälzung begriffen. Wahrend sich bei den ersten Gruppen (den Fabrikanten und Verleihern) der Übergang zur großkapitalistischen Unternehmung in der Hauptsache innerhalb der einzelnen Firmen vollzog, muß hier der kleine Einzelunternehmer immer mehr der eindringenden Konkurrenz der Großen weichen. Gerade die Theatergründungen waren zu Anfang den kleinen und kleinsten Kapitalen vorbehalten. Das erste stehende Theater wurde allerdings von der schon erwähnten Firma Messter im Jahre 1905 in Berlin unter den Linden gegründet. Aber durch den Erfolg ermutigt, schossen die Theater nunmehr aus dem Boden. Wer einen leeren Raum, eine Lücke zwischen zwei Häusern zur Verfügung hatte, der baute es zu einem ,,Theater" um. Ein paar Dutzend Stühle, eine Projektionswand und ein Apparat wurden gekauft - der Betrieb konnte losgehen. Diese Art von Kleinunternehmungen ist auch heute noch nicht verschwunden. Und täglich liest man noch von Neugründungen meist als G. m. b. H., bei denen das eingebrachte Stammkapital im Nominalwert von etwa


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20000 M in möglichst wenig Bargeld und im übrigen in Einlagen besteht, die mit dem Betrieb eines Kinos oft nur schwer in Verbindung zu bringen sind, wie: Schreibtische, Biergläser, Trumeau, Sofa, Schlafsofa, Regulatoruhr, Gartenmöbel usw.1 Derartige zweifelhafte Unternehmungen verschwinden ebenso rasch wieder, wie sie gekommen sind (die vom Reichsanzeiger veröffentlichten Konkurse zeigen das).

Das Publikum hat seine Ansprüche nicht für die Qualität der Darbietungen, wohl aber hinsichtlich des Komforts sehr gesteigert. Wie groß die Bevorzugung der gut und bequem ausgestatteten Kinos vor den primitiveren bei allen eifrigen Kinobesuchern ist, wird noch zu zeigen sein, und der Unterschied der Ausstattung zwischen einem Vorstadtkino und einem solchen von Berlin W etwa ist eben ganz enorm. Namhafte Künstler fertigen die Entwürfe an. An Stelle der Holzbänke oder der eng aneindergereihten Stühle sind Klappstühle oder bequeme Polstersessel getreten. Die Garderobe, das Foyer, die Erfrischungsräume, alles entspricht den Anforderungen der Verwöhnung. Mit dieser Umwandlung und Verfeinerung eroberte sich der Kino die ,,Gesellschaft". Man sieht heute in den Logen elegante Toiletten, besonders bei Premieren - vor zwei Jahren noch ein Ding der Unmöglichkeit. Selbst die Bilder wirken in dieser Umgebung nicht mehr als dieselben wie im unwirtlichen und ungemütlichen Vorstadtkino. Die Mehrzahl der Gäste sieht anders, empfindet anders, legt andere Ideen den Handlungen zugrunde. Eine Filmgeschichte ist ein dehnbares Ding, und die angedeuteten Geschehnisse lassen sich ganz individuell ausgestalten. Dabei wirkt aber das Publikum, auf das man rechnet, bestimmend mit.

Die Preise der Plätze sind in diesen eleganten Kinematographen fast ebenso hoch wie für Theaterplatze. Ein Logenplatz kostet etwa 5 M, ein Beweis, daß der Kino längst aufgehört hat, ausschließlich das Theater des kleinen Mannes zu sein. Auch die Größe der Theater nimmt ständig zu, und immer neue Riesenbauten entstehen. So faßt der elegante Gaumontpalast auf dem Montmartre in Paris 6000 Personen und ist meist voll besetzt. Allerdings dauert das Programm 3 - 4 Stunden und wird an einem Abend nur einmal durchgespielt, während es anderswo mehrmals wiederholt wird und das Publikum dabei immer wieder wechselt.

Mit dieser neuesten Erscheinung der eleganten Riesentheater, die es auch in Berlin schon gibt, nähern sich die Kinematographen mehr


1Reichsanzeiger Nr.11 264. 


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und mehr dem Varieté, das sie in der Tat für ihr Publikum ersetzen. Der Besuch wird ein offizieller Akt, den man sich ebenso vornimmt wie den Theaterbesuch. Es ist nicht mehr das ungezwungene Kommen und Gehen, wie in den kleineren Straßenkinos. Doch dieser Entwicklung scheinen enge Grenzen gesetzt zu sein; denn immerhin ist die Besucherschicht für diese Luxussäle nur klein. Wenn auch bisher auf 100 kleine Kinos nur eins dieser neuen Art kommt, so scheint doch damit das Bedürfnis bereits befriedigt. Man liest in letzter Zeit immer wieder, daß derartige Unternehmungen nicht bestehen konnten. Sie haben aber dazu beigetragen, die Ansprache des Publikums an Komfort und äußerer Ausstattung zu steigern.

[Randbemerkung: Die Musik im Kino] Dem verfeinerten äußeren Rahmen paßt sich auch die Güte der Musik im Kino an. An Stelle des Grammophons, des Orchestrions trat ein Klavierspieler, der zugleich, besonders bei tragischen Stellen, auf dem Harmonium begleitete. Heute finden wir in fast allen mittleren und großen Theatern eine Kapelle.

Die Aufgabe der Musik im Kino ist ganz eigenartig, am ersten noch mit der Orchestermusik in der Oper zu vergleichen. Aber sie ist im Gegensatz zu dort nicht um ihrer selbst willen da. Sie illustriert gleichsam den Film. Sie tritt von einer anderen Seite an den Zuschauer heran als das Bild, um sein Gefühl mitschwingen zu lassen. Die stummen Schatten werden beredt, ohne daß die Musik eigentlich bewußt gehört wird. So tritt denn auch in den kleinen Provinztheatern der Rezitator an ihre Stelle, der das Bild auf seine oft höchst originelle Weise erklärt. Er paßt sozusagen den internationalen Stoff dem Ortsgeschmack, dem Lokalinteresse an. Und höchst individuell ist häufig auch die Interpretation der Kapellmeister. Der eine kündigt eine Kußszene mit einem Tusch an, ein anderer bereitet durch weiche Melodien auf diesen Höhepunkt vor. In der Regel aber sucht man die nötige Stimmung durch ein buntes Potpourri von Operettenmelodien, Chorälen, Gassenhauern und Opernmusik zu erzeugen; nur einzelne Films sind bisher mit Angaben über die Begleitmusik versehen worden, wie der Film Beethoven, der Bilder aus dem Leben des Künstlers brachte. Von einer Wiener Firma wurde einmal eine eigene Musik zu einem Drama komponiert. Doch fand diese Art wenig Anklang, wahrscheinlich einfach deshalb, weil das Einstudieren sich für die kurze Zeit einer Spieldauer nicht lohnt.1


1Die Angestellten. Der Theaterbesitzer schließt den Vertrag auf längere Zeit mit dem Kapellmeister. Dieser engagiert selbständig die Gehälter der Musiker in einer süddeutschen Stadt z. B. schwankten zwischen 180 und 340 M. Der erste Geiger bekam 200 M, der erste Klavierspieler 300 M etwa monatlich. Ein großer Teil von ihnen ist im süddeutschen Musikerverband zusammengeschlossen (Abteilung nicht subventionierter Theaterorchester). Zum Schluß sei noch der Operateure Erwähnung getan. Obwohl der Beruf erst seit einigen Jahren besteht, hat sich unter dem starken Zudrang ein ausgeprägtes Standesbewußtsein gebildet, das alle ungelernten Elemente ausschließt. Sie sind in einer Innung zusammengeschlossen, die eine halbjährige Lehrzeit zur Vorbedingung macht, mit einer anschließenden Abschlußprüfung. Neben dem eigentlichen Gehalt lassen sich viele von den Lieferanten noch Schmiergelder zustecken, damit sie die Bilder tadellos vorführen. Sowohl für die Musiker als auch für die Operateure ist der Zusammenschluß in selbständigen Interessenverbänden äußerst schwierig, da sie immer nur vereinzelt einer fast ebenso großen Zahl von Unternehmern gegenüberstehen. 


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[Randbemerkung: Schicksal der kleinen Theater] Für die Unternehmer bedeutet die luxuriöse Ausgestaltung der Räume, sowie das Halten von verschiedenen Musikern ein beträchtliches Betriebskapital. Daher wird der kleine Kapitalist mehr und mehr von der Gründung ausgeschlossen. Dahin wirken auch die hohen Steuersätze in vielen Städten (oft 25%, nach neuesten Vorschlägen sogar 50% der Bruttoeinnahmen), die den Ertrag vermindern. Deshalb beobachtet man allgemein eine Ausdehnung der großen Gesellschaften, die die kleinen Einzelunternehmungen nach und nach verdrängen. Die bedeutendsten derartigen Firmen sind die ,,Projektionsaktiengesellschaft in Straßburg", die etwa 45 Theater besitzt, und die ,,Uniongesellschaft in Berlin, früher in Frankfurt am Main", die etwa 30 Theater besitzt. Derartige Gesellschaften haben wenig gemeinsame Interessen mit den kleinen Privatbesitzern - ja, die großkapitalistische Form der Unternehmung bringt sie in die Reihen derer, die selbst formen, und nicht zu denen, die geformt werden, und läßt sie vielmehr mit den ähnlich organisierten beiden ersten Produktionsgruppen sympathisieren, wenn es sich um die Bildung von Monopolen und Konventionen handelt. Als Großabnehmer haben sie selbst starken Einfluß auf die Produktion, und in ihrer Tätigkeit als Filmverleiher (an kleinere Theater), die sie auch noch ausüben, stehen sie ebenfalls im Interessengegensatz zu den kleinen Theaterunternehmern. Häufig treten sie auch selbst als Produzenten auf. Auch innerhalb dieser Unternehmerschicht macht sich also eine Tendenz zur Aufsaugung anderer Produktionsstufen geltend, und dem reinen Filmverleihgeschäft drohen also auch von dieser Seite Gefahren.

[Randbemerkung: Endergebnis] Die vielfach gemachten Versuche eines Zusammenschlusses aller drei Produktionsstufen sind wegen der Interessengegensätze meist gänzlich fehlgeschlagen oder zum Organ nur einer Gruppe geworden.

Ein Beispiel dafür ist der Schutzverband deutscher Lichtbild-


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theater, der ursprünglich alle drei Gruppen umschließen sollte. Die Anregung ging aus den Reihen der Theaterbesitzer hervor. Um seine Absicht kurz zu skizzieren, gebe ich hier einen Abschnitt aus einem Aufruf, der in Heft 5 der Lichtbildbühne 1911 erschien: ,,Das System der Drangsalierungen, mit denen wir speziell von Beamtenkörperschaften bedacht werden, sind ein Hohn auf unsere vorwärtsdrängende Kulturepoche. Man will die segensreiche und erzieherische Wirkung des aufklärenden Kinematographen unterbinden, weil das Volk dadurch zum Nachdenken angeregt wird. Wir wollen aber nicht nur unsere Existenz schützen, weil wir sie brauchen im Daseinskampf, sondern uns auch die Ziele unserer sozialpolitischen Ideale nicht unerreichbar weit hinausrücken lassen." Neben dieser Abwehr nach außen setzte sich der Verein auch Reformbestrebungen im Innern zur Aufgabe. So suchten sie Fühlung mit der Lehrerschaft zu bekommen zur Veranstaltung von belehrenden und unterhaltenden Kindervorstellungen. Von ihnen wurde der erste deutsche Kinokongreß zusammengerufen, verbunden mit einer Fachausstellung vom 17. bis 19. Dezember 1912. Es sollte diese Veranstaltung ein glänzender Beweis werden für die Leistungsfähigkeit der Kinematographen, indem durch Vorführung von Musterbildern und verschiedene Vorträge ein Überblick über den Stand der Entwicklung gegeben werden sollte. Diese Ausstellung fiel ziemlich kläglich aus.

Der Zweckverband wurde zu einem Zentralverband der verschiedenen Ortsvereine, doch abgesehen davon, daß der beabsichtigte Anschluß an die Fabrikanten und Filmverleiher nicht zustande kam, schien man eine Zeit lang auch in Theaterkreisen mit der Tätigkeit des Bundes nicht zufrieden zu sein. Gegen die zunehmende Verschärfung der polizeilichen Vorschriften betreffs Kinderverbot usw. haben sie scheinbar nicht viel ausrichten können; dagegen hat er nicht versagt, als es hieß, die durch das Monopol drohende Gefahr abzuwenden.

Alle übrigen Vereine wurden für die allgemeine Entwicklung weniger von Bedeutung, da einerseits das Geld zur Agitation fehlte, andererseits, wie schon früher erwähnt, die drei Produktionsstufen nicht geschlossen vorgingen. Ging von einer Seite eine Anregung zu gemeinsamer Interessenvertretung aus, so erschien sie meist den andern beiden Gruppen von vornherein verdächtig. Diese Klippe wurde glücklich umschifft dadurch, daß von ziemlich neutraler Seite, von der Fachpresse aus, zum Zusammenschluß aufgefordert wurde. Auf dem Programm standen lediglich Fragen, die das Lebensinteresse aller drei Gruppen umfaßte. Das Schlagwort war: ,,Der Kampf gegen den


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äußeren Feind." Diese Vereinigung, die sich Agitationskomitee der kinematographischen Fachpresse nannte, brachte in kurzer Zeit einen beträchtlichen Agitationsfonds zusammen, der durch Beiträge von Zeitungen, Filmfabriken, Verleihinstituten und Theater aufgebracht, bald die Summe von 11460 M erreichte. Sie richteten eine Rechtsschutzstelle ein, die die verwaltungsrechtlichen Klagen gegen solche Zensurverbote einleitete, die nach Prüfung durch ein Komitee (2 Juristen und 2 Oberlehrer) als ungerecht empfunden wurden. Neben dieser Verteidigungsarbeit gegen Zensur und Steuerbehörden, sowie gegen alle übrigen Angriffe haben sie sich auch noch eine positive Aufgabe gestellt, nämlich aus der Branche heraus eine Reform durchzuführen, um so immer weniger Angriffspunkte für die Gegner zu bieten.

Damit wäre so ungefähr der Rahmen gegeben, innerhalb dessen die Produktion sich entwickelt hat. Gerade diese großindustrielle Gestaltung der Industrie hat aber auch die Art des Produktes weithin beeinflußt. Reden wir nunmehr davon, wie der Film entsteht.