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4. DER GESETZLICHE RAHMEN

Bisher ist die kinematographische Industrie als Privatunternehmung einer kleinen Gruppe von Leuten betrachtet worden. Doch diese Anschauungsweise genügt entschieden nicht, um dem Kino in seinen Wirkungen gerecht zu werden. In einem von Gaumont herausgegebenen Heft steht der Satz: "Der Kinematograph ist aus dem Rahmen einer simplen Industrie herausgewachsen, er ist zu einem Faktor, ist, das Gemeingut der ganzen Welt geworden." Damit ist er aber auch eine öffentliche Angelegenheit geworden. Faßt man die Kinematographenindustrie als ein bloßes Gewerbe auf, als Erwerbsmöglichkeit wie viele andere, die bei aller Rücksicht auf möglichst gute Produkte doch in erster Linie nach dem wirtschaftlichen Prinzip arbeiten, so ist das oberste Gesetz großer Kassenerfolg und hohe Dividenden. Daß erstklassige Darstellungen nicht unbedingt am geeignetsten für die Erreichung dieses Zweckes sind, ist selbstverständlich. So hat man denn in der Produktion dem Geschmack der breitesten Massen so lange Konzessionen gemacht, bis eine starke Gegenströmung gegen den Kino überhaupt entstand. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung, bewogen auch durch die Rücksicht auf die letzten Interessen der Industrie selbst, der es daran liegen muß, die schrittweise erkämpfte Anerkennung seitens des urteilsfähigeren Publikums zu behaupten, ist auch in der Branche selbst der Reformgedanke lebendig. Doch bei allen Reden, bei allen Versammlungen klingt es immerhin durch wie etwas Unverdientes, wie ein besonderes Entgegenkommen, daß überhaupt den ethischen und ästhetischen Forderungen Rechnung getragen wird, entgegen den reinen Erwerbsinteressen. Von diesem Standpunkt der Privatunternehmung aus ist es verständlich, wenn die von der Gesetzgebung ergriffenen Maßregeln als außerordentliche Härten empfunden werden und deshalb erbitterte Gegner finden, weshalb denn auch der erste Zweck aller Fachverbände ist, eine Milderung der gesetzlichen Maßnahmen zu erreichen. In der Tat ist wohl keine Industrie so stark belastet. Der Kino geht aber in seiner Wirkung weit über das Maß ähnlicher gewerblicher Unternehmungen hinaus, und deshalb sind Sondergesetze und Verordnungen entstanden, die


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von drei Seiten aus einen Druck auf die Kinematographen ausüben, nämlich 1. durch die Zensur1, 2. durch das Kinderverbot, 3. durch besondere Besteuerung. Vorerst sind alle diese Gesetze, durch die ein Einfluß ausgeübt werden kann, noch unvollkommen und wenig einheitlich. Meist sind sie um den einzelnen Schäden entgegenzutreten in Form von Ministerialerlassen und Polizeiverordnungen entstanden, da der Kinematograph sich nicht in die vorhandenen Gesetze einzwängen ließ. Nach und nach werden alle diese Sonderbestimmungen durch straffere Zusammenfassung des ganzen Systems und der örtlich verschiedenen Einzelvorschriften vereinheitlicht werden. 2

[Randbemerkung: Zensur] Zunächst will ich ein paar Worte von der Zensur sagen, dieser vielbeklagten und viel gewünschten Einrichtung. Ich rede zunächst von Preußen, da durch die Zentralisation des Filmhandels in Berlin diese auch für die übrigen Bundesstaaten von Bedeutung ist. In drei Etappen haben sich die preußischen Zensurvorschriften entwickelt. Auf Drängen der Lehrer und Volksbildner wurde für die kinematographischen Erzeugnisse eine Präventivzensur durch Ministerialerlaß vom 31. Dezember 1911 für Preußen angeordnet. Dieser erste Ministerialerlaß bestimmte, daß alle Films 24 Stunden vor der Aufführung an dem betreffenden Platz, aktuelle Films auch später, dem Bezirksamt zur Begutachtung vorgelegt werden sollten. Aus dieser Art der Zensierungen wuchsen aber viele Unzuträglichkeiten. Ein und derselbe Film mußte in jeder Stadt, in der er gezeigt werden sollte, von neuem zensiert werden, und das bedeutete für Beamte und Theaterbesitzer eine große, zum Teil unnütz angewandte Arbeit. Dazu kam, daß die Urteile in den verschiedenen Städten, je nach der Veranlagung des Zensors, verschieden ausfielen und so zur Störung des Geschäftsbetriebes auch noch finanzielle Verluste traten. Deshalb wurde von allen Seiten der Ruf nach einer einheitlichen Reichszensur laut. Im Handel hatte sich unter dem Druck der oben geschilderten Übelstände der Brauch ent-


1 Siehe dazu die Abhandlungen von Assessor Dr. Hellwig in den "Annalen des deutschen Reichs 1910", ferner im "Archiv für öffentliches Recht 1911“, im „Preußischen Verwaltungsblatt 1912“, in der „Zeitschrift für Polizei- und Verwaltungsbeamte 1913" sowie „Die Kinematographenzensur in Preußen" von Hans Müller- Sanders.

2 Diese zahlreichen Ministerialerlasse und Polizeiverordnungen sind von Assessor Dr. Hellwig in seinem Buch: "Rechtsquellen des öffentlichen Kinematographenrechts“(München - Gladbach 1913) übersichtlich zusammengestellt worden. Auch sind augenblicklich zwei Arbeiten in Vorbereitung, deren eine von Dr. jur. Hellwig, die öffentlich - rechtliche Seite der Frage und die andere von stud. jur. Herbert Tannenbaum, eine der privatrechtlichen Seiten der Frage behandelt.


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wickelt. daß fast alle Films von den Fabrikanten oder Importeuren der Berliner Zensur vorgelegt und mit einer Erlaubniskarte versehen wurden, die die Ursprungsfirma, Länge des Films, Titel des Bildes, Untertitel und Inhaltsangabe enthielt. Die meisten Polizeibehörden schlossen sich diesem Urteil dann an. Nur an einzelnen Plätzen, an denen die Beamten für das Seelenheil der Bevölkerung fürchteten, wurde alles noch einmal durchzensiert. Der oben geschilderten Praxis schloß sich ein weiterer Ministerialerlaß vom 30. April 1912 an und verfügte, daß alle mit der Berliner Erlaubniskarte versehenen Films ohne weitere Prüfung zugelassen werden könnten. Doch wurden diese Bestimmungen oft umgangen. In Berlin verbotene Films wurden in der Provinz noch einmal vorgelegt und da häufig freigegeben. Um eine bessere Kontrolle zu ermöglichen und auch die Zensur noch einheitlicher zu gestalten, erfolgte deshalb am 6. Juli 1912 eine Präzisierung der früheren Bestimmungen, die unter anderem eine gegenseitige Benachrichtigung der einzelnen Zensurbehörden anordnete. Damit wurde, wenigstens für Preußen, de facto eine ziemlich einheitliche Handhabung der Zensur erreicht. Obwohl die Zensur wohl auch in Zukunft der Landesgesetzgebung überlassen bleibt, suchen die Bundesstaaten doch in den wesentlichsten Punkten eine möglichst große Übereinstimmung zu erzielen.

Die Schwierigkeit bei der Handhabung aller die Zensur bestimmenden Gesetze liegt in der Form des Objekts, des Films nämlich, begründet. Einmal kann man nicht gut ein Rezept aufstellen, nach dem Dramen gemacht werden dürfen; zum andern aber treffen die einzelnen Bestimmungen die wesentliche Tendenz des Stückes doch nicht. Denn man kann nur mit Rücksicht darauf den künstlerischen Qualitäten nicht gerecht werden, und ferner können Stücke, die keine Handhabe zur Ausmerzung bieten, doch jedes moralische und künstlerische Empfinden aufs gröbste verletzen. Es ist deshalb im weitesten Maße in die Hand des einzelnen Zensors gelegt, mit den mangelhaften Mitteln doch einigermaßen den beabsichtigten Zweck zu erreichen. Aber bei der Masse der vorgeführten Films (8 km an einem Tage), die von 4 Polizeiräten begutachtet werden, ist selbst bei dem besten Willen eine schematische Beurteilung unausbleiblich. So ist denn die Zensur ein dauernder Zankapfel zwischen beiden Parteien, der Regierung auf der einen, den Kinematographeninteressenten auf der anderen Seite1.


1 Assessor Dr. Hellwig, "Schundfilms, ihr Wesen, ihre Gefahren und ihre Bekämpfung" (Halle a. S. 1911, Buchhandlung des Waisenhauses).


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[Randbemerkung: Kinderverbot] Bei der Zensur werden die Films in solche geschieden, die für Kinder erlaubt, und solche, die nur für Erwachsene zugelassen werden. In dieser Maßregel wurde aber noch kein wirksamer Schutz gegen eine ungünstige Beeinflussung der Jugend gesehen, und deshalb haben die einzelnen Städte auf das Drängen der Jugendfürsorgevereine und der Lehrerschaft den Besuch der Theater für Kinder überhaupt verboten. Eine einheitliche Regelung erfuhr das Kinderverbot zuerst in Westfalen, dann auch in Schleswig- Holstein, wo der Besuch den Personen unter 16 Jahren nur zu Kindervorstellungen erlaubt ist. Überall, wo das Verbot zuerst durchgeführt wurde, erhoben die Theaterbesitzer Protest, da sie eine große Schmälerung ihrer Einnahmen voraussahen.

Doch da die Verfügungen trotz der Versuche einiger Juristen nicht wirksam angefochten werden konnten, schlossen sich einsichtige Unternehmer den Bestrebungen der Lehrerschaft an. Auf Anregung von Schulinspektor Fricke wurden zunächst in Hamburg, dann auch in Hannover und anderen Städten von Lehrern und Theaterbesitzern Kindervorstellungen mit ausgewähltem Filmmaterial vorgeführt, die, unter Leitung der Lehrer, von den Schulkindern gegen billiges Eintrittsgeld besichtigt werden. Auch diese zunächst örtliche Einrichtung ist für weitere Kreise praktisch geworden, da z. B. die in München- Gladbach herausgegebene Zeitschrift "Bild und Film" die ausgewählten Films veröffentlicht und so allen Veranstaltern von Jugendvorstellungen geeignete Stücke an die Hand gibt. Derartige positive Arbeit hat überhaupt - weil als das kleinere Übel empfunden - unter den Theaterbesitzern weiteres Entgegenkommen gefunden, was auch aus den Reden, die auf dem Kinokongreß in Berlin gehalten wurden, hervorging.

[Randbemerkung: Steuern] AIs letztes und wirksamstes Mittel, die immer mehr sich ausdehnenden Kinematographentheater in ihren Grenzen zu halten, erscheinen die städtischen Steuern, die deshalb auch von den Interessenten aufs heftigste bekämpft worden sind, vom Standpunkt der Gewerbetreibenden aus auch mit Berechtigung; haben sie doch in einigen Städten einen direkt prohibitiven Charakter angenommen und zur Vernichtung einer Reihe von kleinen Unternehmungen geführt. Von den Kinotheatern werden neben den hohen Abgaben für Lustbarkeitssteuern auch noch spezielle Kinosteuern erhoben. Besonders in Städten mit hohen Kommunallasten, und das sind meist Industriestädte, in denen die Lichtspieltheater sehr zahlreich sind, bedeuten sie einen willkommenen Zuschuß zum Stadtsäckel. Die Steuern werden meist in Form einer Billettsteuer erhoben, und zwar auf das Billett 5 - 10, selbst 20%. Dabei re-


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sultieren natürlich ganz erhebliche Beträge, und so brachten die Kinematographen in Köln z. B. 13%, in Elberfeld 10% der gesamten Lustbarkeitssteuer auf. Besonders bitter für die Betroffenen ist aber die Art der Verwendung dieser Gelder. In Barmen z. B. wurde der Ertrag zur Unterstützung des durch die Kino geschädigten Theaters verbraucht. Im allgemeinen wird diese Steuer durch Erhöhung der Eintrittspreise erfolgreich auf das Publikum abgewälzt.

Daß die Steuer den Charakter einer Repressivsteuer haben soll, die besonders gegen die Darstellungen der Sensationsfilms gerichtet ist, geht auch aus dem Umstand hervor, daß lehrhafte Films und Naturaufnahmen, soweit sie ausschließlich gezeigt werden, abgabenfrei sind. Die Anregung zu dieser Reform ging von der Wiesbadener Abteilung des Vereins zur Bekämpfung des Schmutzes in Wort und Bild aus. Sie waren dabei von dem Gedanken geleitet, daß gerade diese Art der Darstellung ein wünschenswertes Mittel zur Aufklärung und Geschmacksbildung werden könne. Versuchsweise wurde in Köln die neue Steuer in ähnlicher Form eingeführt, wonach Vorstellungen ausschließlich wissenschaftlichen oder belehrenden Inhaltes auf Antrag frei bleiben sollten. Derartige Anträge wurden aber kaum gestellt. Die damit beabsichtigte Umwälzung der Programme durch Eliminierung der Dramen und Humoresken dürfte sich auch nicht so leicht bewerkstelligen lassen. Man darf nie aus dem Auge lassen, daß die Kinematographen allgemein als Unterhaltungs- und nicht als Bildungsmittel beliebt sind, als solche aber so festen Fuß gefaßt haben, daß sie alles an Popularität übertreffen, was neben ihnen noch in Frage kommen könnte.