EINLEITUNG

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Kinematographen. Er hat weit über den Rahmen ähnlicher Erfindungen hinaus in der Technik und im gesamten Kulturleben durchgreifende Umwälzungen hervorgerufen. Bei der ständigen Entwicklung, in der sich die Dinge gegenwärtig noch befinden, wo der Streit ,,für" und ,,wider" so heftig tobt, wo täglich neue Gebiete vom Kino erobert werden, wo ihm täglich neue Entwicklungsmöglichkeiten zugesprochen und ebensooft jede Berechtigung und Eignung dazu abgestritten wird, wo selbst die Mehrzahl derjenigen, denen die kinematographische Technik ein selbstverständlicher Zubehör zum Lebensapparat geworden ist, nicht einmal wissen, welche Stellung sie der Erscheinung im ganzen gegenüber einnehmen, da ist es natürlich nur möglich, ein Abbild der Lage zu geben und die prinzipielle Beurteilung einer späteren Zeit zu überlassen. Aber der Kino ist da, und ist ein Machtfaktor im Leben der Gegenwart geworden, der Einzelne mag sich eine Stellung dazu suchen, wie er will. Hier sollen die soziologischen Zusammenhänge untersucht werden.

Noch während der Ausarbeitung sind dabei in der Form und Organisation der kinematographischen Produktion umwälzende Änderungen eingetreten. Auch hat sich Hand in Hand damit die Bedeutung dieser Erfindung für die Allgemeinheit dauernd verschoben. Aus immer neuen Schichten, aus immer entfernteren Plätzen zieht der Kino sein Publikum an, und von vielen wird er auch schon wieder beiseitegeschoben als eine Form der Unterhaltung, die mit den übrigen Kulturinteressen nicht in Einklang zu bringen ist. Seine endgültige Form hat er jedenfalls noch nicht gefunden. So schien es zweckmäßig, an den Stoff gewissermaßen von außen heranzugehen und ihn von zwei Seiten zu behandeln:


1. Von der Produktion aus: wobei die Produzenten, das Produkt und die durch die besondere Eigenart desselben bedingt. Herstellung betrachtet werden.

2. Vom Konsumenten aus: indem der Boden untersucht wird, auf den die Saat fällt, indem nach einem kurzen Überblick über die Stellung der Kinematographen neben den sonstigen Vergnügungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten das Publikum analysiert wird, das ihn trägt.


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[Randbemerkung: Materialsammlung] Da gedrucktes Material nur in sehr geringem Umfange vorlag oder, soweit solches vorhanden, sich nur mit Einzelfragen beschäftigte, sind die hier niedergelegten Erfahrungen aus besonderen Untersuchungen gewonnen. Dem ersten Teil liegen in der Hauptsache Mitteilungen von Fachleuten zugrunde. Der zweite Teil stützt sich auf eine Statistik über die Besuchsfrequenz der Kinos in einer größeren Industriestadt während je zweier Sommer und Wintermonate. Sie wurde von 4 Theaterbesitzern in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt, und mit ihren gleichartigen Resultaten konnte ein Anhalt für die allgemeine Bedeutung der Kinematographentheater gewonnen werden. Dem schließt sich dann als Unterlage eine Enquete an, die den Zusammenhang zwischen sozialer Schichtung und Unterhaltungs- und Kulturinteressen festzustellen suchte und in der gleichen Stadt vorgenommen wurde 1. Es wurden für das Kinematographeninteresse folgende, teils durch mündliches Befragen, teils durch schriftliche Ausfüllung von Bogen zu beantwortende Fragen gestellt:

1. a) Name oder Geschlecht (der Befragten):
b) Beruf:
c) Beruf des Vaters:
d) Wie alt sind Sie?
e) Wo geboren?
f) Welche Schule haben sie besucht?
2. Besuchen Sie Theater, Vorträge, Konzerte, Varietés ?
3. Was hat Ihnen dabei am besten gefallen?
4. Besuchen Sie die Kinematographentheater? Wie oft?
5. Allein oder mit anderen?
6. Was veranlaßt Sie jeweils in den Kino zu gehen?
7. Wann gehen Sie meistens in den Kino (Wochentags, Tageszeit) ?
8. Bleiben Sie während eines ganzen Programms in der Vorstellung?
9. Welche Art Stücke gefallen Ihnen am besten (Dramen, komische Sachen, Naturaufnahmen usw.)
10. Hat Ihnen etwas nachhaltigen Eindruck gemacht? Was?
11. Hat Ihnen der Kino künstlerische Eindrücke vermittelt?

Im ganzen wurden 2400 Antworten erzielt, wobei man sich, um einen möglichst großen Prozentsatz der einzelnen Schichten zu er-


1 Gleichzeitig mit einer Erhebung über das Interesse an bildender Kunst (von Fräulein Else Biram).- Diese Vereinigung ermöglichte eine umfassendere Charakteristik der Befragten.


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fassen, im ganzen an die Vorstände der Berufsverbände wandte, die denn auch zum Teil die Vermittlung mit den einzelnen Mitgliedern übernahmen. Die Jugend (14- 18jährige) wurde in den Fach- und Gewerbeschulen befragt, die Arbeiterschaft persönlich. Die übrigen Berufe, Handwerker, Kaufleute, Ingenieure, Studenten, Offiziere usw., bekamen die Bogen nur durch ihre Berufsverbände oder durch ihre Fachzeitschriften zugestellt. Hier war der Erfolg sehr schwach, da von insgesamt 15 000 verteilten Bogen nur ungefähr 200 zurückkamen. Es mußten hier auf andere Weise Mitteilungen gesammelt und persönliche Eindrucke im weitesten Maße zur Charakterisierung mit verwandt werden.

Im allgemeinen darf man wohl annehmen, daß das Interesse für kinematographische Vorstellungen und die Häufigkeit des Besuchs als zu groß erschien, wollte man nur nach den ausgefüllten Bogen urteilen. Diejenigen, die nie in den Kino gehen, legten den Bogen achtlos beiseite, und so kam denn auch fast kein Bogen von einem Nichtkinobesucher zurück. Bestärkt wird diese Annahme noch durch dementsprechende Äußerungen von Mitgliedern der befragten Verbände. Dadurch werden zahlenmäßige Vergleichungen mit anderen Schichten unmöglich, während bei den Arbeitern, sowie bei allen befragten Frauen das Ergebnis vollständiger ist und eine innere Vergleichung zuläßt; denn jedesmal wurden hier von allen jeweils Versammelten Antworten erzielt, und man kann daraus schon auf die Gesamtheit schließen.— Ähnlich verhält es sich mit den Resultaten aus Volks-, Fortbildungs- und Gewerbeschulen, von denen jedesmal einzelne Klassen vollständig befragt wurden. Ganz umfassend sind endlich die Resultate aus der Handelsfortbildungsschule, indem alle 55 Klassen mit insgesamt 1381 Schülern und Schülerinnen erfaßt wurden. Der Besuch dieser Schule ist für alle Kaufmannslehrlinge und -lehrmädchen obligatorisch. Die Schule ist für einen dreijährigen Besuch eingerichtet, so daß die erste Klasse hauptsächlich von 14—15jährigen Schülern, die zweite hauptsächlich von 15- 16jährigen Schülern, die dritte von 16- 17jährigen Schülern besucht wird. Außerdem bestehen noch Sonderklassen für diejenigen, die das einjährige Zeugnis einer Mittelschule besitzen. Die Jugend bestimmter Art ist also hier in ihrer Altersgliederung erfaßt, und wegen der Vollständigkeit dieser Befragungen soll näher auf Einzelheiten und Abweichungen von dem Gesamtbild eingegangen werden, da sie doch nicht mehr als zufällige Mängel der Stichproben anzusehen sind, sondern in ihrer Bedeutung zahlenmäßig


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eingestellt und beurteilt werden können. Bei der großen Ausdehnung aber, die der Handel der gewählten Stadt hat, ist damit der gesamte Nachwuchs der charakteristischen Berufe erfaßt; er ist gerade für eine Kinostatistik noch besonders geeignet, weil in den Jahren des ersten Verdienstes und vor der Verheiratung im allgemeinen mehr für Vergnügungen, besonders für den Kino, verausgabt wird als später, und das gilt besonders von den jungen Kaufleuten. Bei einem Vergleich mit den Angehörigen anderer Berufsstände (selbst wenn man nicht berücksichtigt, daß von diesen durchschnittlich nur die am stärksten Interessierten erfaßt sind) kommt diese Tatsache einwandfrei zum Ausdruck.