„Phonograph und Kinematograph.

Es hatte den Anschein, als sollten diese beiden Erscheinungen der höheren Technik eine neue Aera für unseren Beruf bedeuten. Man denke nur an die mit großen Zeit- und Geldopfern verbundene Handhabung der ursprünglichen Schaustellergeschäfte wie Caroussels, Schießbuden, Schaukeln, Theaters etc. Welchen Aufwand von Mühen beanspruchen diese Etablissements bis sie erstlich aufgeschlagen sind und und wie hoch stellt sich der Kostenpunkt für deren Beförderung auch für die kleinste Strecke.

Ganz anders die Operation mit den jetzt in so reichlichem Maße Einkehr haltenden Apparaten, die obengenannte Namen führen. In Form eines bequemen Musterkoffers präsentirt sich der Phonograph sammt allem Zubehör. In wenigen Minuten sind die Vorbereitungen zur Vorstellung getroffen, und wenn das Wirkungsfeld sich als ausgesogen hinstellt, so nimmt das ganze Geschäft bequem neben seinem Herrn Platz im Eisenbahncoupee ohne Aufschlag des Tarifes zur Beförderung. Ein ähnliches Verhältniß ergibt sich bei der Behan dlung des Kinematographen. Alle diese so stark hervorleuchtenden Vortheile wären dazu angethan, auf der andern Seite das Betriebswesen der herkömmlichen Geschäfte in bedeutende Schatten zu stellen, mit ihnen aufzuräumen und- man möchte fast sagen- sich dem Idealschaustellerthum hoffnungsfreudig in die Arme zu werfen. Vielleicht mag damit die Erscheinung zusammenhängen, daß man in den Fachblättern so ungewöhnlich oft dem Verkaufe von alten Geschäften wie Theatern, Caroussels etc. begegnet. Es gilt darum, nach dem Gebot der Klugheit und Mäßigkeit auch hier nicht müßig zuzuschauen und besonders dem alten Gewerbe eine Lanze zu brechen.

Es ist nicht zu bestreiten, daß innerhalb der Berufssphäre die neuesten Erscheinungen eine Entlastung hervorgerufen haben. Die einzelnen Species haben sich in Folge der Zuwendung zu jenen Neuheiten vermindert, so daß diesen eine prozentual größere Einnahme erwachsen ist. Wenn nur ein Geschäft an einem Platze ist, so ist der Ausfall der Ernte gewiß ein größerer, als wenn mit ihm noch ein gleiches concurriren würde. Je mehr in dieser Beziehung eine Entlastung eintritt, desto besser ist es für den entlasteten Theil. Wird aber der Zuzug zu allen Neuheuten zu stark, so tritt dort eine Ueberproduktion ein, deren Reaktion man bei aller geschäftlichen Praxis beobachten kann. Der Kampf ums Dasein und die Macht der Concurrenz kämpfen und concurriren eben so lange, bis alles geschäftliche Leben brach gelegt ist.

Man denke zurück an die Aera des Phonographen. Als das Wunderding die Welt in Erstaunen versetzte, waren die Vorstellungsräume zu eng, dagegen kein Entrée zu hoch. Wie lange hat aber diese Zeit gedauert ? Es währte gar nicht lange, so machte die Nüchternheit der plötzlichen Erregung Platz und war auch nicht mehr zu erhalten, trotzdem eine Verbesserung der anderen folgte. Wenn nun heute der Staub der Zeit das Wunderding noch nicht ganz bedeckt hat, so fällt es doch heute Niemanden mehr ein, mit einem Phonographen allein ein Tournee anzutreten, nur zur Ergänzung und Vervollkommnung des geschäftes legt man ihn sich bei.

Solchen Schwankungen sind die ureigensten Geschäfte wie Caroussels, Schaukeln, Schießbuden und Theater nicht unterworfen und zwar erstlich, weil sie volksthümlich geworden sind; was aber volksthümlich ist, erhält sich auch. Zweitens wird von diesen mehr un ser subjektives Empfinden berührt. Sie versetzen uns in einen gewissen Zusatnd, den man gern und auch öfters reproduzirt. Darum werden die Schaustellungen dieser Art auch nie aus der Welt verschwinden; sie werden zwar verbessert, indem man sich die neuest en elementaren Erfindungen (Dampf, Elektrizität) zu Nutzen macht, aber die Grundidee wird dieselbe bleiben. Bei den neueren Schauobjekten, wie beispielsweise dem Phonographen, ist das anders. Man staunt zwar den Apparat und sein Wirken an, aber der Eindruck ist mehr ein objektiver, ein sich der Sache zuwendender. Kennt man ihn in seinen Theilen, so ist man zufrieden und bemüht sich nicht mehr um weitere Productionen.

Die Aera des Kinematographen hat den Phonographen abgelöst, um vielleicht in allzu kurzer Frist einer anderen Erscheinung Platz zu machen. Nie werden mir die Worte eines erfahrenen Schaustellers, der zur Zeit mit einem Kinematographen reist, vergessen werd en, der auf die Frage hin, wie sich das Geschäft entwickle, antwortete: „Wenn die Fabrikanten den Preis der Apparate in der Weise wie bisher herunterdrücken, so werden sie sich nur sich, sondern auch den reisenden das Geschäft verderben, so daß in einem Ja hr mit einem Kinematographen gar nichts mehr zu verdienen ist; „denn“ fuhr er fort, „bis zu diesem Zeitpunkt ist die ganze Welt mit diesen Apparaten überschwemmt, weil jeder, darunter sehr verschiedene Nichtschausteller * sich berufen fühlt, durch maßlose Concurrenz alles zu vernichten.“

[*) In diesem Punkte müssen wir beistimmen, denn fast täglich laufen bei uns Anfragen folgender Art von Nichtschaustellern ein :“Ich habe mir einen Kinematographen beigelegt, geben Sie mir einige Maßregeln für die Reise.“ Die Red.]

Skeptiker mögen über diesen Ausspruch vielleicht ungläubig den Kopf schütteln, damit ist aber der wahre Kern nicht weggeschafft. Dort, wo der Kinematograph zum ersten Mal erscheint, macht er wie seiner Zeit der Phonograph Furore. Man befriedigt seinen Wissensdrang und zahlt dafür auch gern ein erhöhtes Entree. Für eine dritte oder vierte Vorstellung ist man aber nicht so splendid. Bringt dann noch die Concurrenz den Kinematograph zu häufig auf den Schauplatz, dann muß sich der Enthusiasmus verlieren und die Alltäglichkeit macht den obigen Ausspruch des Reisenden wahr.

Ziehen wir aus dem Gesagten die Nutzanwendung, so ersteht für uns eine doppelte Pflicht. Erstlich wäre es unverantwortlich, wenn man dem Schaustellerthum nach altem berühmtem Muster Valet sagen und sich in Uebertreibung auf verlockende Neuheiten werfen wü rde; denn eine Ueberfüllung auf dieser Seite zeigt weit schlimmere Folgen für unser gewerbliches Wohlsein, als eine Ueberproduktion auf jener Seite. Zweitens zwingt uns die Nothwendigkeit unsere Aufmerksamkeit auf kommende Neuheiten zu lenken, sobald diejenige, welche die Gegenwart beherrscht, stumpf geworden ist und ihre Anziehungskraft verloren hat.

Welcher Stern wird nun für die nächste Zukunft am Horizont der modernen Schaustellerwelt erglänzen ?

Eine vielleicht nicht mit großen Schwierigkeiten verbundene Aufgabe wäre die, Phonograph und Kinematograph in gleichzeitige Verbindung zu bringen, sodaß man mit dieser Verknüpfung Aufnahmen machen könnte, die Auge und Ohr zu gleicher Zeit befriedigen könnt en. Im Wesen sind Sprach- und Bilderzeugungsmaschinen für sich allein unvollkommen, weil jede nur den Eindruck unserem Geiste zu vermitteln vermag, welcher dem Organ, für welches die Maschine geschaffen ist, empfänglich gemacht wird. Der Phonograph kann n ur Hörbares, der Kinematograph nur Sehbares erzeugen. Soll der Eindruck, den man von irgend einer Sache mitnehmen soll, ein totaler sein, so müssen aber Auge und Ohr, die der Erkenntniß dienenden Organe, zu gleicher Zeit bedient werden. Es mag ja für einen Zuhörer interessant sein, einen berühmten Sänger in seiner Bravour-Arie per Sprechmaschine zu hören, wie es für den Zuschauer ebenso anziehend sein kann, eine Bühnengestalt in ihren Handlungen und mimischen Ausdrücken per Kinematograph zu sehen. Solange a ber der Zuhörer nicht auch ein Bild von dem Sänger erhält und der Zuschauer nicht die Worte hört, womit die betreffende Person seine Darstellung begleitet, ist der empfangene Eindruck unvollkommen, und alles Unvollkommene läßt unbefriedigt.

Es muß darum darnach gestrebt werden, durch die Gleichzeitigkeit etwas zu schaffen, das nicht nur für unsere Zeit, mehr noch für unsere Nachwelt einen unschätzbaren Werth hat; denn dann haben unsere Nachkommen nicht mehr eine Geschichte in Worten sondern in Wahr- und Wirklichkeit.

Mit technischen Schwierigkeiten hat man bei der Herstellung zweier in Verbindung zu bringender Apparate durchaus nicht zu rechnen, weil jeder für sich schon hinreichend verbessert ist; es kann sich nur um gleichzeitige Aufnahmen handeln. Dieser Anforderung wäre dadurch zu genügen, daß ein gezahntes Rad sowohl die Antriebswelle des Phonographen wie des Kinematographen in Bewegung setzt.

Es würde sich gewiß des Versuches lohnen, einmal einen solchen Doppelapparat herzustellen und damit gleichzeitig Aufnahmen zu wagen, die sowohl für den Kinemathographen wie für den Phonographen allein nicht schwierig wären, wie eine spielende Schauspielergruppe, heranziehendes Militär etc.

Hätten diese Zeilen zu einer neuen Anregung Ansporn gegeben, wäre damit auch ein doppelter Zweck erreicht.

-S.- "
 
 

Der Komet, 23.1.1897

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