4. Vergleich der Ergebnisse mit der Angebotsentwicklung in Mannheim, Kaiserslautern und Speyer

Vergleicht man die Entwicklung der Angebotspaletten in Ludwigshafen und Mannheim 83 so lassen sich viele, offensichtlich besatzungspolitisch motivierte Unterschiede feststellen. Das beginnt 1945 mit dem mageren Spielfilmangebot in beiden Städten. Während in Ludwigshafen zu zwei Dritteln deutsche Reprisen und zu einem Drittel französische Filme gezeigt wurden, beinhaltete das Mannheimer Kinoprogramm nur amerikanische Produktionen. Hier wird die ökonomische Stärke der amerikanischen Filmwirtschaft sichtbar, die keine Synchronisationsprobleme kannte. Hinzu kam die anfänglich rigide Säuberungspolitik der Amerikaner. Die Franzosen konnten dagegen keine vergleichbare Menge eigener Filme anbieten, um flächendeckend die neueröffneten Kinos zu versorgen.

Die Bipolarität zwischen deutschen Filmen und Produktionen aus den jeweiligen Besatzungsländern wurde in der französischen Zone bereits 1946 durch Förderung und Zwang erreicht. In der amerikanischen Zone kam es ein Jahr später zum Gleichstand zwischen amer ikanischen und deutschen Spielfilmen durch ein starkes Anwachsen deutscher Reprisen. Dieses Wachstum war möglich, weil die Besatzungsbehörden genügend Filmmaterial geprüft und zensiert hatten. Das Jahr 1949 führte zu einer fast gleichen Angebotsstruktur. Insgesamt wurde das Spielfilmangebot sehr viel bunter als in den Vorjahren. Das relativ gesehen geringere Gewicht französischer Filme in Ludwigshafen und die prozentual schwächere Akzentuierung amerikanischer Filme in Mannheim stellt eine interessante Entwicklung dar. Es liegt die Vermutung nahe, daß die Politik der Besatzer zwischen 1945 und 1947, die jeweiligen Heimatproduktionen künstlich zu fördern, zu einer Übersättigung der Zuschauer geführt hatte. Sicherlich haben zwei Daten des Jahres 1948 die Palette des Kinoprogramms in Ludwigshafen und Mannheim geprägt: Die Währungsreform im Juni und der Beginn des freien trizonalen Filmaustauschs im Oktober 1948. Die Währungsreform beeinflußte das Verhalten der Kinogänger, da sie nun mit der D-Mark sparsamer umgingen und sich beim Kinobesuch stärker als bisher von ihrem Interesse leiten ließen. Das konnte nicht ohne Wirkung auf die Angebotspalette bleiben. Der trizonale Filmaustausch bedeutete zudem das Ende der Abgrenzungspolitik der Franzosen gegenüber der britisch-amerikanischen Bizone. Die


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Kinobesitzer konnten nun britische und amerikanische Filme verstärkt auch in der französischen Zone ausleihen und sie ihrem Publikum anbieten. Ebenso wurden französische Filme vermehrt auch in den Kinos der beiden anderen Zonen gezeigt. Das Interesse der Besucher an einem breiten internationalen Filmangebot war da, nach einer langen Phase der Beschränkungen durch Nationalsozialismus und danach durch französische Besatzungsbehörden. Trotz der Internationalisierung des deutschen Filmangebotes seit 1949 war immer noch eine Dominanz deutscher Filme in Ludwigshafen und Mannheim festzustellen, mit zunehmender Tendenz zum deutschen Nachkriegsfilm. Dabei läßt sich, ebenso wie 1946-48 auch, ein Unterschied zwischen innerstädtischen Berei chen und Peripherien feststellen: In den Vorort-Kinos wurden deutsche Produktionen, davon besonders Reprisen, stärker favorisiert als in der City. In den Innenstadtkinos wurden dagegen immer höhere Angebotsquoten für ausländische Filme erreicht als an der Peripherie. Diese allgemeine Entwicklung wurde in Ludwigshafen vor allem 1946 durch die Intervention der Besatzungsbehörden verstärkt. Die politische Beeinflussung war deshalb in der Innenstadt größer, weil dort auch die beiden treuhänderisch verwalteten UFA-Theater waren. Bei der Untersuchung der Spielfilmpalette in Ludwigshafen lassen sich folgende Tendenzen feststellen, die unter anderen besatzungspolitischen Vorzeichen auch in Mannheim zu beobachten sind:

  1. 1. Die Dominanz deutscher Reprisen bzw. amerikanischer Produktionen mangels filmischer Alternativen zu Beginn der Besatzungszeit.
  2. 2. Die Bipolarität zwischen deutschen Filmen und Produktionen der Besatzungsmacht in den Jahren 1946 bzw. 1947.
  3. 3. Die Diversifikation des Angebotes nach dem Fall der Zonengrenzen für den Filmverleih im Jahre 1948. Es bahnte sich die Phase der fünfziger Jahre an, wo das Spielfilmangebot mehrheitlich durch deutsche und amerikanische Produkte bestimmt wurde.

Vergleicht man die Entwicklung des Filmangebots in Ludwigshafen mit der in Kaiserslautern (1945-1947), so fällt auf, daß in Kaiserslautern wesentlich mehr deutsche Reprisen angeboten wurden und dafür weniger französische Filme (1945: 30 Reprisen/keine französischen Filme; 1946: 93/12; 1947: 95/18) 84. Die Stärke deutscher Reprisen im Kapitulationsjahr und die grundsätzliche Bipolarität zwischen deutschen und französischen Filmen im Angebot in den Jahren 1946/47 ist jedoch auch in Kaiserslautern sichtbar. In Speyer läßt sich 1949/50 eine Angebotsvielfalt feststellen, die der Situation in Ludwigshafen ähnlich ist 85. Beim dortigen, nach Produktionsländern geordneten Spielfilmangebot läßt sich die gleiche Rangfolge wie in Ludwigshafen feststellen. Auch bei der Untersuchung der Angebotspaletten in Kaiserslautern und in Speyer kann man Parallelen zu Ludwigshafen erkennen.


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Der Vergleich zwischen Ludwigshafen und Mannheim stellt klar: Außer der räumlichen Einbindung, der Sozialstruktur u.a. bestimmte vor allem die Zugehörigkeit zur einen oder anderen Besatzungszone das Spielfilmangebot verschiedener Städte zwischen 1945 und 1949. Mit Sicherheit lassen sich die drei herausgefilterten Phasen auch in anderen Städten der französischen Zone, etwa in Freiburg, Konstanz, Mainz oder Trier beobachten. Der am Beispiel von Ludwigshafen nachgezeichnete Angebotsunterschied zwischen Zentrum und Vororten zugunsten deutscher Produktionen läßt auch Schlüsse auf den ländlichen Raum zu. Man kann davon ausgehen, daß Untersuchungen im überwiegend ländlichen und kleinstädtischen Bereich der französischen Zone eine noch eindeutigere Dominanz deutscher Filme ergeben hätte als bei der hier vorliegenden Untersuchung 86 . Die Normalisierung des Filmangebotes 1949/50 führte zu einem Ende der Sonderstellung des Filmangebotes in der französischen Zone. In den fünfziger Jahren gab es keine signifikanten Abweichungen zur allgemeinen Entwicklung in Deutschland. Es kam bundesweit zu einem starken Anstieg amerikanischer Produktionen. Unterzieht man jedoch die Entwicklung in Deutschland in den fünfziger Jahren einer kritischen Prüfung, so kann man eher von einer Bipolarität der Angebotsstruktur sprechen. Deutsche und amerikanische Spielfilme beherrschten gleichermaßen den Markt 87. Erst in den sechziger Jahren hatte die Stunde Hollywoods geschlagen, aber - wohlgemerkt im Fernsehen 88.

Im Unterschied zu Amerikanern, Briten oder Sowjets, die die Auffassung vertraten, Film sei entweder eine industriell hergestellte Ware oder ein sozialistisches Propagandainstrument, fühlten sich die Vertreter der Grande Nation dazu berufen, dieses Medium als kulturelles Erziehungsinstrument einzusetzen. Anspruchsvolle französische Spielfilme, eigens konzipierte Wochenschauen, Kultur- und Erziehungsfilme sollten Deutschland nach dem Willen der Besatzungsmacht geistig und damit auch politisch umgestalten. Daß dieses hochgesteckte Ziel undurchführbar war, lag zunächst daran, daß das französische Besatzungsgebiet eine ökonomische Mangelzone war, die zudem kaum städtische und filmwirtschaftlich wichtige Infrastruktur besaß. Die wenigen Filmtheater waren meist im Krieg völlig zerstört worden. An einen raschen Aufbau von Filmproduktion, Filmverleih und Kinobetrieb war unter diesen Bedingungen nicht zu denken, zumal es auch in Frankreich Kriegszerstörung und wirtschaftliche Probleme gab. Dennoch gelang es der zuständ igen Section Cinèma erstaunlich schnell eine filmische Infrastruktur aufzubauen. In Ludwigshafen, der größten Stadt ihrer Zone setzte die französische Militärregierung wichtige Akzente zur Wiederbelebung des Lichtspielbetriebs. Die beiden


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treuhänderisch verwalteten UFA-Theater gehörten zu den ersten Kinos in der Stadt.

Den Ludwigshafenern kam der Mangel an synchronisierten französischen Filmen entgegen. Kino war für sie ein erschwingliches Vergnügen, das nicht nur der Zerstreuung diente, sondern auch ein Überlebensmittel war in einer Welt voller Trümmer und Not. Entspannen wollte sich der Kinobesucher bei den bekannten und bewährten UFA-Produktionen aus der Zeit vor 1945. Dabei handelte es sich vor allem um Komödien, Musikfilme und Melodramen. Der deutsche Cinèast wählte die kulturelle Kontinuität zur NS-Zeit , er wollte nicht über die im Namen aller Deutschen begangenen Verbrechen belehrt werden. Im Gegensatz dazu förderte die Section Cinèma 1946 die Verbreitung von Produktionen aus Frankreich und ordnete die Vorführung von Dokumentarfilmen an, die sich mit der NS-Vergangenheit kritisch auseinandersetzten. Bei den Filmexperten der Militärregierung begann sich schließlich die Einsicht durchzusetzen, daß der Wille der Kinobesucher zu respektieren sei und daß man auch durch die begleitende Wochenschau und durch Filmfestivals Werbung für Frankreich und dessen Politik betreiben konnte. Die Wandlung der französischen Filmpolitik im zweiten Halbjahr 1946 läßt sich bereits 1947 in den Ludwigshafener Kinos feststellen. In den treuhänderisch verwalteten UFA-Theatern wurden bereits vermehrt deutsche Reprisen gezeigt. Der wirtschaftliche Anschluß der französischen Besatzungszone an die Bizone führte endgültig zu einem Bedeutungsverlust französischer Streifen. Zwar sank ihr Anteil in Ludwigshafen nicht, aber durch das rasante Wachstum des Film- und Kinoangebots im Jahre 1949 gelangten französische Filme ins Abseits. Eine außergewöhnliche, durch die Besatzungspolitik herbeigeführte Entwicklung fand ein schnelles Ende. Trotz der Ausweitung des Angebots aus dem englischsprachigen Raum begann eine Boomphase des deutschen Nachkriegsfilms. Das betraf jedoch kaum den wenig populären Trümmerfilm, der 1948/49 in deutsche Kinos kam. Die Sehnsucht nach einer heilen, unzerstörten und unkomplizierten Welt ließ ein in Deutschland einzigartiges Genre entstehen: den Heimatfilm. Für diese Zeit lassen sich ähnliche Feststellungen zur Mentalität - zu escapistischen Bedürfnissen - breiter Bevölkerungsschichten treffen wie für die Besatzungszeit, in der noch die Reprisen aus der NS-Zeit die escapistische Funktion inne hatten.


Kapitelanfang







Anmerkungen


83 Vgl. Berninger u.a. (wie Anm. 16); vgl. Gleber (wie Anm. 8) S. 495.

84 Vgl. Kratz (wie Anm. 15); vgl. Gleber (wie Anm. 8) S. 495.

85 Vgl. Hoffmann (wie Anm. 15); vgl. Gleber (wie Anm. 8) S. 495.

86 Vgl. Hierzu auch Martin Loiperdinger, Amerikanisierung im Kino? Hollywood und das westdeutsche Publikum der Fünfziger Jahre, in: Theaterzeitschrift. Beiträge zu Theater, Medien, Kulturpolitik 28 (1989) S. 54.

87 Vgl. Filmblätter 52/53 (1960), abgedruckt in Loiperdinger (wie Anm. 86) S. 55.

88 Vgl. Hierzu auch Loiperdinger (wie Anm. 86) S. 60.