Bernd Poch
Das Kaiserpanorama. Das Medium, seine Vorgänger und seine Verbreitung in Nordwestdeutschland "In August Fuhrmanns Kaiserpanorama ist die Geschichte der optischen Vergnügungen im 19. Jahrhundert zur Maschinerie kristallisiert: vom Guckkasten die Form, vom Panorama die imperialistische Geste der optischen Aneignung der Natur, vom Diorama das Diaphane, das die Bilder so lebenswahr und leuchtend macht, und von der Fotografie die Perfektion der Abbildung."1 Auch wenn in dieser Zusammenstellung die Stereo - Photographie, die den eigentlichen Effekt der im Kaiserpanorama gezeigten Glasdias ausmacht, fehlt, so macht diese These von Stephan Oettermann deutlich, dass das Kaiserpanorama in einen grösseren mediengeschichtlichen Zusammenhang gestellt zu werden verdient. Schon die Bezeichnung als Panorama, die denkbar unpassend wirkt2, weist mediengeschichtlich weit zurück in das Ende des 18. Jahrhunderts. "PANORAMA" - dieser Begriff, der einen "Überblick" umschreibt, ist dermaßen in den Alltagsgebrauch der Sprache eingegangen, so dass oft fälschlich angenommen wird, es handle sich um ein Wort mit alten Wurzeln, "aus dem Griechischen"3. Stephan Oettermann hat in seinem Standardwerk "Das Panorama - Die Geschichte eines Massenmediums" dargelegt, dass es sich vielmehr um ein gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstandenes Kunstwort handelt, das seinerzeit auf eine technische Erfindung angewandt wurde, wie etwa die später entwickelten Begriffe "Telephon", "Automobil" oder die "Kinematographie". Man bediente sich der griechischen Sprache: aus pan (= alles) und hórama (= sehen) entstand so der neue Begriff Panorama. Der irische Maler Robert Barker hatte sich 1787 ein Verfahren patentieren lassen, mit dem er eine 360°- Darstellung einer Landschaft oder einer Stadtansicht herstellen und präsentieren konnte. Er griff dabei auf zahlreiche Vorbilder z.B. aus der Theatermalerei zurück, war aber der erste, der die Idee der perfekten Illusion konsequent weiterführte. In seiner Patentschrift benutzte er noch nicht die Bezeichnung, aber schon bald, nachdem er 1788 in Edinburgh das erste, ca. 24 m im Umfang messende Rundgemälde der schottischen Hauptstadt ausgestellt hatte, muß PANORAMA als Bezeichnung für das Barker´sche Rundgemälde in Gebrauch gekommen sein. Sein zweites, mit 137,5 qm2 Fläche erheblich größeres Gemälde, wegen der Dimensionen auf einen Halbkreis beschränkt, war 1791 unter dem eingängigen Namen PANORAMA in London zu sehen4. Dieses Panorama von London wurde ein voller Erfolg und der Anfang einer regelrechten "Panoramania" in London, die auch den Rest Europas erfassen sollte. Schon 1799 kam das erste englische Panorama nach Deutschland und wurde dort in einer hölzernen "Rotunde" (Rundbau zur Aufstellung von Panoramen) in verschiedenen Großstädten gezeigt, bis es durch den Transport arg lädiert, nur noch Kritik hervorrief. Hubert
Sattler: Sattlers Panorama- Rotunde auf dem Neuen Markt in Hamburg. Aquarell
um 1833, 31 x 54 cm (Ausschnitt, bei Klick auf das Bild erhält man
das vollständige Aquarell).
In einem Panorama wurde die Illusion hervorgerufen, sich inmitten einer völlig neuen Umgebung zu befinden. Dazu mußte sich das Publikum durch einen Gang in die Mitte des Rundgemäldes begeben, alle Außenreize wurden ausgeschlossen. Zur Erhöhung des Effektes wurden die Panoramen im Laufe der Zeit immer größer, und der Bereich zwischen Zuschauertribüne und Gemälde wurde duch Kulissen und reale Objekte derart ausgestaltet, dass der Übergang von realen Objekten zum Gemälde kaum zu erkennen war. Dieser Bereich wurde "faux terrain" genannt. Der Blick des Publikums konnte frei umherschweifen, war aber gefangen in der Illusion. Ein Korrespondent des "Journal London und Paris" schrieb 1798 voller Begeisterung:" Bey diesem Panorama wird man an sich selbst irre; je länger das Auge betrachtet, desto bezaubernder wird die Täuschung."5 und ließ in seiner Zeitschrift einen fünf Seiten langen Artikel über das Barker´sche Panorama von Windsor folgen. Cosmoramen (Kleinpanoramen) und deren Auftreten in OstfrieslandDiese großen Panoramen, die nur mit erheblichem Aufwand gezeigt werden konnten, waren natürlich nicht außerhalb der größeren Städte zu sehen. Vor allem im agrarisch organisierten Deutschland, damals laut Oettermann "allerorten Provinz"6, entstanden Miniaturformen, die den sich rasant herausbildenden Sehbedürfnissen Rechnung trugen. In diesen Kleinpanoramen, sog. Cosmoramen, wurde der "präphotographische Realismus" des Panoramas mit der Technik des Guckkastens verbunden. Durch optische Gläser, die nicht vergrößerten, aber eine Distanz zwischen Betrachter und Objekt schaffen konnten und die "Tiefenwirkung" unterstützten, konnte der Betrachter den Blick auf 270° oder 180°- Ansichten, oft aber auch auf plane Gemälde werfen, die allerdings immer effektvoll beleuchtet wurden.Die Cosmoramen waren aufgrund ihrer geringen Größe preiswert in der Herstellung und einfach in der Handhabung. Die Bilder konnten schnell und ohne großen Aufwand ausgetauscht werden. So war es möglich, ganze Serien von Ansichten zu zeigen und so das Publikum zu mehrfachem Besuch zu animieren. Die Brüder Christoph, Cornelius und Peter Suhr machten die auch Zimmerpanoramen genannten Darbietungen bekannt, indem sie zwischen 1815 und 1850 mehr als 300 Kleinpanoramen produzierten und in Deutschland, Polen, Rußland und Skandinavien ausstellten. Von der "Befreiung des Blickes"7, die den großen Panoramen zugesprochen wurde, war in den Cosmoramen nichts übriggeblieben. Das Publikum saß justiert vor den Apparaten und schaute durch Betrachtungsgläser auf die Gemälde, der Blick konnte nicht mehr umherschweifen, sondern war fixiert. Was alles in einer Bude von 20 Metern Länge untergebracht werden konnte, beschreibt der Helfer des Panoramas Böhme anschaulich: "Im Innern gab es fünf größere Tableaus mit beweglichen Figuren, darunter die Notre Dame- Kirche zu Paris mit Andächtigen, der Golf von Neapel mit Wellenschlag und segelnden Schiffen, die Tuilerien in Paris während der Kommune und noch verschiedne Panoramengemälde. In dem Extrakabinett gab es eine Gruppe mechanischer Singvögel und zwei Panoramengemälde: der Tod des Königs Friedrich August von Sachsen in Tirol und die Inquisition in Spanien."8 Auch wird deutlich, dass das Kleinpanorama oft mit beweglichen Elementen versehen wurde, um die Illusionswirkung zu erhöhen, eine Tendenz, die letztlich zum Mechanischen Theater und zur Kinematographie führen sollte. Trotz aller Einschränkungen entwickelten sich die Kleinpanoramen zu einem lange unverzichtbaren Bestandteil des Schaustellergewerbes. Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, selbst als die ortsfesten Kinematographen am Ende der ersten Dekade Fuß fassten, waren sie vor allem im ländlichen Raum auf den Jahrmärkten anzutreffen. Mitte des 19. Jahrhundert waren die (Klein-) Panoramen noch eine gerngesehene Attraktion, die von fernen Städten und von geschichtsträchtigen Ereignissen berichtete. H.G. Crombach, Panoramabesitzer aus Köln, zeigte in Emden vom 6.-22. Juli 1849 unter anderem: "1) die Schlacht bei Waterloo, Rundgemälde, 74 Fuß groß; 2) Die Schlacht am Isly, Rundgemälde, 24 Fuß groß; 3) und die Revolution von Berlin."9 Zur Jahreswende 1852 / 53 kam Conrad Gutperle mit seiner "Kunstausstellung", die er auf dem neuen Markt in Emden in einer großen Bude präsentierte und die neben Schweizer Landschaften "das colossale Kunstgemälde der Weltstadt London mit Umgegend"10 enthielt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann durch bessere, präzisere Darstellung der Mangel der Cosmoramen offenkundig werden sollte. Die Illusionswirkung war nur begrenzt, mit der Erfindung der Photographie 1839 trat ein auf diesem Gebiete weit überlegenes Medium in Erscheinung. Die Photographie allerdings, wie wir sie bis in die Gegenwart gebrauchen, hat den Makel, dass sie Räumlichkeit nicht darstellen kann. Sie bildet mit einem Objektiv ab, der Mensch aber nimmt die ihn umgebende Umwelt durch sich leicht voneinander unterscheidende Eindrücke aus zwei Augen auf. Diese zwei Bilder, von denen sich ein großer Teil überlappt, werden im Gehirn zu einem "räumlichen" Eindruck verschmolzen. Der Brite Charles Wheatstone hatte vor der Erfindung der Photographie Experimente mit der dreidimensionalen Darstellungsweise von Objekten unternommen. Schnell erkannte er, dass mit der Photographie die Chance der "naturwahren" Darstellung gekommen war. Schon 1841 ließ er sich von Fox Talbot, Alfred Rosling und Roger Fenton Kalotypien für seine Versuche anfertigen. Aber erst die Entwicklung einer Kamera mit Doppelobjektiv, deren Objektivabstand sich am Abstand der menschlichen Augen (ca. 65 mm) orientierte, verhalf dem Prinzip der dreidimensionalen Darstellung zum Durchbruch. Als sich dann 1851 das Photographieren durch die Entwicklung des "nassen Kollodiumverfahrens" stark vereinfachte, indem es nun möglich wurde, von einer Platte beliebig viele Abzüge statt wie bisher nur Unikate herzustellen, waren die Grundlagen für die Verbreitung der Stereophotographie gelegt. Sehr schnell machten sich Schausteller das Medium zu eigen und reisten von Stadt zu Stadt mit Tisch- oder Standbetrachtern, die manchmal nur jeweils eine Stereoskopie faßten, aber auch "nach dem Revolverprinzip funktionierten und in denen bis zu 200 Stereoskopien eingelegt werden konnten"11. Dieses Prinzip erinnert schon sehr an die später zum Einsatz kommenden Apparate der Fuhrmann´schen Kaiserpanoramen und können als deren direkte Vorläufer gelten. Lange vor dem Aufbau der ersten Kaiserpanorama- Apparate konnte man in Ostfriesland im öffentlichen Raum Glasstereoskopien betrachten. Schon 1856 stellten Möbius & Wunder in Emden ihre "Stereoskopen- Galerie" gegen Eintritt im Hotel "Zum Prinzen von Preußen" auf. Die "Glaskünstler" Grienwaldt & W. Wege hatten neben "unzerbrechlichen Damenputz- und Toilette- Gegenständen" in ihrem Glas- Bazar, den sie für 5 Tage im Oktober 1858 im "Hotel zur Börse" aufgebaut hatten, eine Sammlung von Stereophotographien dabei. In ihrer Annonce hoben sie auch "ein höchst wunderbares Oelgemälde" hervor, was darauf hinweist, dass Mitte des 19. Jahrhunderts die Bevölkerung nur höchst selten bildhafte Darstellungen zu Gesicht bekommen hat. Im August 1860 kam Carl Oeser mit den "rühmlichst bekannten Charles´schen Stereoscopen aus Paris", die auf dem Schützenplatze wiederum in Emden zu bewundern waren. Er stellte die Vorteile des neuen Mediums in seiner Annonce klar heraus: "Die auf Silber und Glasplatten photographirten Naturaufnahmen, durch Stereoscopen gesehen, ahmen die Natur körperlich bis ins kleinste Detail genau nach und werden das Auge eines jeden Natur- und Kunstfreundes auf das Angenehmste überraschen. Ich bitte, diese Kunst- Ausstellung nicht mit einem Panorama zu verwechseln, indem die naturgetreu und bestgemalten Panoramen gegen diese photographirten in keinem Vergleiche stehen."12 1862 inserierte der ortsansässige J. Pannebakker in der Ostfriesischen Zeitung in Emden, dass er seine Stereoskopien- Sammlung im Hotel zum weißen Hause präsentierte. "Reizende Landschaften und plastische Bilder werden einem hochgeehrten Publikum in einer so überraschenden lebendigen Form gezeigt, dass gewiß jeder Besuchende sich einen Genuß verschaffen und im vollsten Maße zufrieden gestellt werden wird.", schrieb er in der Annonce. "Besonders wird bei den Perspektiv- und Transparent- Bildern das freie natürliche Hervortreten der Hauptgegenstände überraschen."13 Vom Panorama her war dieses nicht bekannt. Man erzielte dort eine Tiefenwirkung durch in das Bild hinein verlaufende Häuser- und Strassenlinien oder durch Luftperspektive, frei im Vordergrund stehende Gegenstände und Figuren wirkten dem Effekt eher entgegen. Bei der Stereophotographie hingegen war und ist man immer bemüht, Objekte und Personen zu staffeln, um den Stereoeffekt zu erzielen. Der "Optiker" G. Rathjen stellte seine Glas-Photographien in Emden im "grossen Saale des Belvedere" Ende Juli 1871 auf. Ob es sich um Stereo- Photographien handelte, ist nicht nachzuvollziehen. Von ihm aber erfährt der Leser der "Ostfriesischen Zeitung" in Emden erstmals, welche Inhalte die Photographien darstellten und welche Geräte zum Einsatz kamen: "Diese umfaßt in großartiger Ausführung und geordneter Reihenfolge Glasansichten von: Preußen, Sachsen, den Harz, Thüringen, Hessen, Cassel, Nassau, Württemberg, Baden, Mainz, Frankfurt a.M., den Rhein, Baiern, Tyrol, Oesterreich, die Donau, Rußland, Hamburg, Hamburg, Dänemark, Schweden, Norwegen, England, Belgien, Holland, Frankreich, Pyrenäen, Spanien, die Schweiz, Italien, die Türkei, Griechenland, Syrien, Palästina, Afrika, Indien, Java, die Moluccen, China, Japan, Siam, Amerika u.s.w. Welche in 42 optischen Apparaten, wovon ein jeder 12 Ansichten enthält, derart aufgestellt sind, dass der Beschauer, durch Drehung einer Welle, sich jedes Bild dem Auge nach Belieben vorführen kann."14 Die Inhalte haben sich entsprechend der Nachfrage gewandelt. Zeigte Barker noch sowohl in Edinburgh als auch in London eine Panorama- Ansicht der Stadt, in der er sich befand (wohl um deren Ähnlichkeit und "Wahrhaftigkeit" vor Ort beweisen zu können), so gab es bald Panoramen aus fremden Gegenden und von historischen Ereignissen zu sehen. Rathjen in Emden präsentierte seine Glasphotographien als Reise durch die ganze Welt. Bei seinem nächsten Halt in Emden im Oktober des gleichen Jahres auf der Durchreise nach Holland hatte er neben den bekannten Landschaftsaufnahmen auch eine Aktualität zu bieten: "Die Ruinen von Paris", also Bilder aus dem gerade für das Deutsche Reich siegreich beendeten Krieg mit Frankreich 1870/71. Hervorgehoben zu werden verdient der Emder Photograph Christian van Laaten. Van Laaten wurde 1810 geboren und eröffnete im Alter von 44 Jahren am 5. Juli 1854 ein Daguerreotypatelier in Emden, zwischen den beiden Sielen15. Wie viele andere Photographen, so übte auch van Laaten vorher andere Berufe aus. "Davor war er bereits Bürstenbinder, Hersteller von Wachsfrüchten und -figuren und Porzellanmaler."16 1859 stellte van Laaten einen Antrag auf Erteilung einer "Hausir Concession" für den Landdrostbezirk Aurich. Dies tat er, da er "in Emden allein als Photograph nicht hinlänglich Beschäftigung finde" und um "von Zeit zu Zeit die übrigen Städte und größeren Dörfer Ostfrieslands zu besuchen."17 1872 erschienen die ersten Annoncen, in denen Christian van Laaten seinen "Stereoskopen- Tempel" anpries. Er reiste in ganz Ostfriesland umher, hinterließ in Emden, in Aurich, auf Norderney, in Leer und in Norden Spuren, indem er Annoncen in den Zeitungen veröffentlichte. Aus ihnen geht hervor, dass van Laaten über eine Sammlung von mehr als zweihundert Glasbildern und 1882 über 40 Stereoskope verfügte. Ob mehrere Stereoskopien in den einzelnen Apparaten untergebracht waren oder die Besucher nach Betrachten eines Einzelbildes einen Platz weiterrücken mußten, läßt sich den Quellen nicht entnehmen. Annonce Christian van Laaten. Ostfriesische Nachrichten, Aurich, 3.4.1880.
Die Stereoskopien erzeugen also eine Illusion, eine Täuschung. Mit der Erfindung der Stereophotographie "holte sich die Photographie zu der eigentümlichen Wiedergabetreue etwas von den illusionistischen Schaueffekten der hergebrachten Medien zurück."19 Bemerkenswert ist, dass van Laaten schon 1875 in einigen seiner Annoncen den Namen PANORAMA als Bezeichnung für seine Stereoskope wählt. Wie oben ausgeführt, war Carl Oeser 15 Jahre vorher noch bemüht, eine Verwechslungsgefahr mit dem Medium Panorama auszuschließen, jetzt taucht der Begriff offenbar in der Bedeutung von "Überblick, Weltschau" im Zusammenhang mit den Stereoskopien auf. Das Kaiserpanorama Der eingangs erwähnte August Fuhrmann war, bevor er das System "Kaiserpanorama" ersann und in die Tat umsetzte, als Physiker und Erfinder tätig. Er experimentierte auf dem Gebiete der Akustik und der Photographie, hier beschäftigte ihn vor allem die Möglichkeit der dreidimensionalen Abbildung. Aus London, einer Hochburg der Stereophotographie, ließ er sich eine größere Anzahl Stereoskopien nebst Betrachtungsgerät kommen, um den neuesten Stand der Technik zu erkunden. Zwei Ideen waren es, die Fuhrmann miteinander zu koppeln suchte. Einmal wollte er einen Apparat konstruieren, der es möglich machen sollte, mehreren Personen gleichzeitig einen Zyklus von Bildern nacheinander zu zeigen, ohne dass einer der Zuschauer sich von seinem Platz erheben musste. Zum anderen war es die Zeit der Erweiterung des Horizontes, der Entdeckung des "Kosmos". Die Gesellschaft war wißbegierig; mit dem flächendeckenden Ausbau der Eisenbahn, der Möglichkeit der Konservierung von Eindrücken mittels der Photographie und der schnellen Übertragung von Nachrichten durch die Telegraphie wollte man sich nicht mehr mit dem zufriedengeben, was im eigenen Gesichtskreis erfahrbar war. Zudem war es die Zeit der Expeditionen und des Kolonialismus, die in immer schnellerer Abfolge die Europäer mit bisher Unerhörtem und erst recht Ungesehenem konfrontierte. Auf diesem gesellschaftlichen Bedürfnis fußte sicherlich die Idee Fuhrmanns, mit Hilfe der Stereophotographie über all das zu berichten, was weltweit sehenswert oder aktuell war. Der Bildungsauftrag seines Unternehmens wurde von Fuhrmann immer wieder betont. "Die Anschauung ist das Fundament der Erkenntniss" lautete denn auch einer der vielen Sinnsprüche, mit denen Firmenbroschüren und Annoncen zahl- und variantenreich bestückt waren. Aber es hat auch in seinem von ihm selbst so bezeichneten "wissenschaftlichen Institut für ideale naturwahre Länder- und Völkerkunde, Kunst- und Zeitereignisse etc."20 nicht nur "objektive" Bilder gegeben. Sie waren aufgenommen aus europäischer, reichsdeutscher Sicht, aus dem Blickwinkel der Kolonisatoren und Expeditoren. So wurde neben Landschaftsbildern und Ereignissen aus fern und nah in den Bildinhalten immer auch ein gehöriges Maß an Chauvinismus transportiert. Schon die Eröffnung des ersten Kaiserpanoramas 1880 in Breslau machte dies deutlich. Der Name der Unternehmung soll aufgrund der patriotischen Stimmung bei der Vorführung von Bildern aus dem deutsch - französischen Krieg 1870 / 71 entstanden sein. Und natürlich waren immer wieder offenbar beim Publikum sehr beliebte Bilder aus den vor dem Ersten Weltkrieg noch sehr präsenten Adelsständen in den Kaiserpanoramen zu sehen. Fuhrmann schuf sich sehr bald eine Zentrale in Berlin, in der er mit Besessenheit und Geschäftstüchtigkeit im Laufe der Jahre eine außerordentlich große Anzahl an Stereoskopien anhäufte. Neben freischaffenden Photographen, die ihm aktuelle Stereobilder aus aller Welt beschafften, soll Fuhrmann nicht nur selbst photographiert haben, sondern zeitweise bis zu acht Photographen mit firmeneigener Ausrüstung auf Expedition geschickt haben. Die Photographien, noch schwarz/weiß auf Albumin- Glasplatten, erhielten in einem besonderen Verfahren eine Farbtönung, indem Fuhrmann auf die Rückseite eigens entwickelte Farbe auftragen ließ, die beim Durchscheinen des Lichtes die gewünschte Tönung hervorbrachte. Dieses einfache und kostengünstige Verfahren nannte Fuhrmann "indirekt durchschimmernde Polychromierung". Zur Auswertung seiner Stereoskopien - über 120000 sollen es nach eigenen Angaben gewesen sein- wandte August Fuhrmann ein ausgeklügeltes System an. Von seiner Zentrale in Berlin aus dirigierte er die Filialen in der Provinz. Die Filialisten waren eigenständige Unternehmer, die sich ihr Vorführgerät vorher bei Fuhrmann gekauft hatten (Kaufpreis 3450 Mark). Dieses Vorführgerät hatte er selbst entwickelt. "Mein Panorama ist ein eleganter, repräsentativer Rundbau mit Nussbaum - Fournierung, von 3 Meter 75 cm Durchmesser, es ruht auf sechs Füßen und mißt vom Fußboden bis zur oberen Kante des geschnitzten Kopfstückes 2 Meter 40 cm. Die Armlehnen haben einen praktischen, dunkelbraunen, soliden Lederbezug, die untere dunkle Stoffgardine ist extra feuersicher imprägniert. Zur Herstellung der Seiten - Wände wird sorgfältig getrocknetes Holz verwendet, welches in erforderlicher Weise - kreuz und quer - d.h. dreifach, zwischen heissen Bleiplatten verleimt wird. Diese Wände sind ausserdem noch von innen und außen fourniert, sodass die fünffach verarbeiteten Hölzer auch für Tropenklimate die nötige Haltbarkeit für Jahrzehnte garantieren."21, beschrieb August Fuhrmann seinen Apparat selbst. In dem Panorama befand sich ein Zahnkranz, auf dem 50 Glasdias befestigt werden konnten, die von der Rückseite her durch Gas- oder elektrisches Licht durchleuchtet wurden. Der Antrieb erfolgte automatisch durch ein Uhrwerk, nach Ertönen eines Glockenschlages wurden die Bilder um eines weitergerückt. "Das Panorama - Geschäft kann aber auch ohne Uhrwerk betrieben werden, indem ein Kind oder eine Person das Bilderrad nach jedem Glockenschlag um eine Ansicht weiterbewegt."22 Außen um das Gerät herum waren vor die 25 Okularpaare ebensoviele Stühle gestellt. So war es möglich, einer größeren Anzahl von Besucher einen Zyklus von 50 Bildern ohne großen Aufwand zu zeigen, denn der Bilderwechsel mußte nur ein Mal pro Woche vorgenommen werden. Alles, was mit dem Betrieb dieser Filialen zusammenhing, wurde den Betreibern von Fuhrmann genau vorgeschrieben, bis hin zur Gestaltung der Werbung und der Ersatzteilbeschaffung für die Geräte. Die Bilderzyklen, meist bestehend aus 50 Bildern, wurden von der Zentrale in Berlin im wöchentlichen Wechsel an die Filialen verliehen. Die Bilderserien waren sehr beliebt, das Geschäft lief offenbar über einen längeren Zeitraum für beide Seiten sehr gut. So kam es, dass bis zu 250 Filialen sich des vorhandenen Bildbestandes bedienten und sich der Aufwand, den Fuhrmann betrieb, sicher rasch amortisierte. Handzettel Kaiserpanorama (Sammlung Poch). Vergrößerte Ansichten: Vorderansicht, Rückansicht Das Kaiserpanorama war überall als "Kunstinstitut" anerkannt. Fuhrmann sammelte die begeisterten Zuschriften von Pädagogen, Vertretern der Kommunen und sonstigen Honoratioren und gab diese als "Goldenes Buch der Zentrale für Kaiserpanoramen" heraus. Immerhin 300 Seiten umfassen diese Lobpreisungen, und sie geben ein beredtes Bild von einem Medium, das in allen kulturbeflissenen Kreisen unstrittig war, das aber trotzdem vom gerade aus diesen Kreisen viel kritisierten und verdammten Kino verdrängt wurde. Auch aus dem damals noch zu Ostfriesland zählenden Wilhelmshaven finden sich in dem Goldenen Buch Eintragungen. Normalerweise mußte für Lustbarkeiten wie Tanzvergnügungen, Jahrmarktspanoramen etc. eine Lustbarkeitssteuer entrichtet werden. Dem der Bildung dienenden Kaiserpanorama wurde diese Steuer erlassen, wie u.a. der folgende Eintrag beweist: "Wilhelmshaven, den 14. Mai 1892. Dem Besitzer des Panorama international, Herrn Georg Weindel hierselbst, wird hierdurch auf seinen Wunsch bescheinigt, dass von demselben die Abgabe [...] nicht erhoben ist, weil dem Panorama ein höheres Kunstinteresse obwaltet. Der Magistrat. gez. Oetken."23 Kaiserpanorama in Ostfriesland Diese Eintragung im "Goldenen Buch" stammt aus der Zeit der ersten Saison eines Kaiserpanoramas im hohen Norden. Am 15. November 1891 hatte das "Panorama International" in Wilhelmshaven in der Gökerstrasse 15 seinen Spielbetrieb aufgenommen. Von 10 bis 22 Uhr, unterbrochen durch eine Mittagspause von 13 bis 14 Uhr, konnten auch die Jadestädter nun die Stereoskopien in einem Kaiserpanorama bewundern, als ersten Zyklus "Der Rhein von Mainz bis Köln". Die Presse begleitete aufmerksam und wohlwollend die Eröffnung: "Wilhelmshaven, 16. Nov.: Im Drägerschen Hause Gökerstraße 15 wurde gestern das Panorama international, welches für einige Wochen hierselbst verbleiben wird, eröffnet. Das Panorama zeigt dem Beschauer vollständig naturgetreue künstlerisch vollendete Ansichten von sehenswerthen Städten und Gegenden Deutschlands, Europas, ja der ganzen Erde. Das Panorama befindet sich in eleganten, freundlichen Räumen und ist für jeden einzelnen Zuschauer bequem eingerichtet. Sobald man eingetreten ist, setzt man sich auf einen der zahlreich vor dem Panorama aufgestellten Stühle, sieht geradeaus und erblickt nun das betr. Bild, der Kölner Dom z.B. zeigt sich, genau so als ob man auf dem Domhof stünde; jede Säule, jedes Fensterkreuz ist scharf und deutlich zu erkennen. [...] Wer die schönsten Gegenden des Rheingaues in wirklich naturwahren Bildern schauen will, der versäume nicht, diesem Panorama einen Besuch abzustatten. Er wird für die wenigen Pfennige einen seltenen Genuß erleben, der ihm eine Rheinreise beinahe vollständig ersetzt ohne deren Schattenseiten im Gefolge zu haben."24 Auch wenn es zur Eröffnung des Panoramas in Wilhelmshaven so klang, als ob es sich bei diesem Panorama um ein ambulantes, bald weiterreisendes Geschäft handeln mochte, so täuschte der Eindruck. Das Kaiserpanorama in der Gökerstraße hielt seinen Spielbetrieb bis Mitte Mai 1892 aufrecht, dann machte es sich auf, die Sommerpause in Wilhelmshaven zu umgehen und dem Publikum in Leer seine Bilder zu präsentieren.
Die Wandertätigkeit eines Kaiserpanoramas war gerade im ländlichen Raum nicht ungewöhnlich, wird aber in der Literatur kaum beachtet. Es wird die Zahl von 250 Filialen der Zentrale in Berlin angegeben, es ist aber davon auszugehen, dass die Zahl der Städte, in denen ein Kaiserpanorama wenn auch nur vorübergehend stand, weitaus höher ist. Im ostfriesischen Raum war das Panorama mit Standort Wilhelmshaven des öfteren auf Wanderschaft. Eindeutig nachweisbar wird dies 1892 und 1906 für Leer, weil die jeweiligen Betreiber in der Lustbarkeitssteuerliste der Stadt Leer erfasst wurden. Offenbar waren die Stadtoberen dort der Ansicht, dass beim Kaiserpanorama wohl doch die Unterhaltung überwog; trotz der Bemerkung "Höheres Kunstinteresse" mussten zwei Mark pro Tag an die Stadtkasse abgeführt werden. Gelegentlich tauchten Kaiserpanoramen in Ostfriesland auf, deren "Heimatstandort" nicht bekannt ist, so ein H. Andressen im März 1892 in Aurich mit seinem "Kaiser- Panorama, bestehend aus 1000 Stereoskop- Bildern" und ein Carl Petersen, der 1895 in Leer gastierte und in der schon erwähnten Lustbarkeitssteuerliste Erwähnung fand. Der Wirkungskreis dieser
ambulanten Kaiser - Panoramen konnte sich über ganz Norddeutschland
erstrecken, wie sich am Beispiel des Julius Sievert aus Alt - Heppens bei
Wilhelmshaven darstellen läßt. Vom 7. März bis 6. Mai 1897
gastierte er im kleinen Saal von "Lösch´Etablissement", zwei
Jahre später taucht er 250 Kilometer weiter östlich, in Lüneburg,
auf. Dort werden im Stadtarchiv einige Dokumente verwahrt, die seinen Unwillen
belegen, Lustbarkeitssteuer zu entrichten. Einmal suchte er sich der Zahlungspflicht
durch Abreise zu entziehen, doch der Magistrat ersuchte hartnäckig
in Wilhelmshaven um Amtshilfe:
Rechts:
Annonce "Leerer Anzeigeblatt", 28.7.1892 mit genauer Auflistung der Bilder.
"An den Magistrat Wilhelmshaven. Lüneburg, den 31. Mai 1899. Der in Wilhelmshaven wohnhafte Panoramabesitzer Julius Sievers hat bei uns den Antrag gestellt, ihm die für Aufstellung eines Panoramas erwachsene Lustbarkeitssteuer ad 21 M zu erlassen. Der Bescheid darauf hat ihm nicht zugestellt werden können, da er die hiesige Stadt inzwischen verlassen hat. Wir ersuchen ergebenst um Zustellung anliegenden Bescheides und zugleich um Eintreibung des Betrages ad 21 M Lustbarkeitssteuer für die Zeit vom 29. April bis 19.Mai einschl. im Verwaltungszwangsverfahren."25 Sievert ist in Wilhelmshaven nicht als Betreiber eines Kaiserpanoramas aufgefallen, muss aber ein Gerät besessen haben, denn schon ein Jahr darauf besuchte er wieder Lüneburg und gastierte im "Hamburger Hof", Am Sande 25. Offenbar hatte er zwischenzeitlich seine Steuerschulden beglichen. Das ambulante Gewerbe muss mit erheblichem Aufwand betrieben worden sein, denn es galt, immerhin eine Tonne an Gewicht wohlbehalten von Ort zu Ort zu transportieren: "Jedes Kaiser- Panorama ist in drei solid gearbeiteten Kisten verpackt – deren Deckel mit sinnreichen Mutterverschraubungen zur bequemen schnellen Oeffnung versehen sind – die Holzbogen nebst Gasleitung sind in Collis verpackt, alles hat ein Gewicht von ca. 800 Kilo. Das ganze Panorama- Triebwerk ist auf kleinem soliden Tisch montiert, es wird in einer Kiste, und die Plattengewichte in besonderer kleinen Kiste verpackt; alles wiegt mit den zwei dazugehörigen Holzständern ca. 200 Kilo."26 Das Wilhelmshavener Kaiserpanorama wurde schon fünf Tage, nachdem es noch in der Jadestadt betrieben wurde, am 20. Mai 1892 in Leer eröffnet. Auch hier, in der Mühlenstraße 27, hieß es "Panorama International". Obwohl eine Neuerung für die Leeraner Bürger, blieb der erwartete Publikumszuspruch aus. Bis nach Wilhelmshaven drang die Kunde, das "Tageblatt" schrieb: "Gegen unser internationales Panorama, welches sich, wie s.Z. mitgetheilt seit Mitte vorigen Monats auf Reisen befindet, scheint man sich in Leer, wohin dasselbe seinen Weg genommen hat, etwas kühl zu verhalten."27 Als der Eintrittspreis von
50 auf 30 Pfennige zurückgenommen wurde, ließen sich auch die
Leeraner Bürger vom Panorama begeistern. Ab Ende Juli konnten sie
sich in eine Abonnentenliste eintragen, was für Abonnenten den Preis
noch einmal um 10 Pfennige reduzierte. Ende August 1892 kehrte das Unternehmen
nach Wilhelmshaven zurück. Der Besitzer, Georg Weindel, betrieb das
Panorama in der Gökerstraße noch bis Ende März 1893, dann
übersiedelte er nach Kiel, wo er laut "Tageblatt" in der Holstenstraße
ein Kaiser- Panorama eröffnen wollte. Offenbar ist er dem Metier treu
geblieben, denn am 30. Juli 1897 suchte er in einer Annonce im "Wilhelmshavener
Tageblatt" als "Besitzer mehrerer Panoramas [...] intelligente Herren oder
Damen", die ihm als Partner für Kaiser- Panoramen in Städten
des Rheinlands und in Westfalen dienen sollten.
In Wilhelmshaven übernahm der angesehene Photograph F. Kloppmann das Panorama, für das er in seinem Haus in der Oldenburgerstraße eine stilgerechte Umgebung schaffen ließ. Das "Tageblatt" gab in einem Vorbericht eine genaue (hier gekürzt wiedergegebene) Beschreibung der Räumlichkeiten. Diese läßt erahnen, welche Bedeutung das Kaiserpanorama für das Alltagsleben in Wilhelmshaven mittlerweile gewonnen hatte: "Wilhelmshaven, 24. März. Das alte Panorama in der Gökerstraße ist geschlossen worden, das neue wird am nächsten Sonntag in der Oldenburgerstraße 16 eröffnet werden in einer Pracht und Eleganz, die das alte Panorama weit in den Schatten stellen wird. Nicht als ob der Apparat des Panoramas, der Schaukasten mit seinen 50 Ansichten ein anderer geworden wäre!
[...] Die Vorhalle ist mit Wand- und Deckenmalereien von Künstlerhand sinnig geschmückt. Am Plafond erblicken wir ein Rundgemälde: den Sieg des Tages über die Nacht darstellend. Die rosenfingrige Eos, aus dem Wolkenmeer empor- tauchend, hat soeben den von vier Rossen gezogenen Thronwagen bestiegen, um ihre Himmelsbahn zu durchmessen. Die Rosse lenkt die Trägerin des das Himmelsgewölbe mit zarten Dämmerlicht weithin beleuchtenden Morgensternes. Das ungeduldige Stampfen der schnaubenden Rosse weckt die nächtlichen Gestalten aus dem Schlummer. Die Königin der Nacht, in dunkle Gewänder gehüllt, verläßt mit ihrem verschlafenen Gefolge in einer von eben erwachenden Löwen gezogenen Muschel die Stätte ihres nächtlichen Treibens, hinter Wolken und dem untergehenden Mond verschwindend. Der Entweichenden nimmt Aurora den düsteren Schleier vom Haupt, die Wolken schwinden, es wird Tag. Muntere Genien im Schmetterlingsgewande bieten dem thaufrischen Morgen duftige Blumengrüße. Der Tag hat über die Nacht gesiegt, das Licht über die Finsterniß. Plastische Darstellung, reiche Lichteffekte und satte Farbentöne zeichnen das Rundgemälde aus. Vier in die Ecke verstreute Blumenstücke umrahmen dasselbe. Von der Decke fällt der Blick des Eintretenden auf die volle Längswand, die in einem wohldurchdachten und kunstvoll ausgeführten Entwurf die Bedeutung des Panoramas versinnbildlicht. Allegorische Gestalten der Photographie und Malerei deuten auf die Entstehung der Ansichten, ein mit Touristentasche und Amateurphotograph versehener Genius überreicht sie der Personification des Panoramas, einer weiblichen Idealgestalt mit interessanten Zügen. Sie vertheilt die Bilder, an alle Welt: Männer, Frauen, Greise und Kinder. Außerordentlich ausdrucksvoll sind die Züge der Beschauer. Je nach Alter und Verständniß spiegeln die Mienen Bewunderung und Freude, überall aber volle Befriedigung. Eine passendere, sinnigere und vornehmere Dekoration als diese läßt sich für das Panorama kaum denken. [... ] Das Panorama wird in seinem jetzigen eleganten Heim unzweifelhaft ein gern und vielbesuchter Aufenthaltsort für unser gesammtes Publikum, namentlich für die besseren Kreise werden."28 Warum diese vom damals noch unbekannten, 25 Jahre alten Marinemaler Johann Georg vom Siehl ausgeschmückten Räumlichkeiten das Kaiserpanorama dann nur für drei Monate, bis zum 15. Juni 1893, beherbergten, bleibt rätselhaft. Annonce Wihelmshavener Tageblatt, 26.11.1899. Der dann folgende Wechsel in die Gökerstraße 12 sollte nicht der letzte bleiben. 1894 / 95 stand das Panorama in der Roonstraße, bis schließlich am 30. November 1898 in der Gökerstraße 15, also an alter Stätte, eine erneute Eröffnung stattfand. Hier blieb das Kaiser- Panorama (das im kaisertreuen Wilhelmshaven merkwürdigerweise nie diesen Namen trug) bis zum 18. März 1901, danach zog der Besitzer Padeken mit dem Apparat in das Werftspeisehaus um. In der Gökerstraße gab es vom 26. November 1899 an eine bemerkenswerte Bilderreihe zu sehen: "Ein interessanter Besuch deutscher Nordseebäder. Borkum, Norderney, Helgoland, Amrum, Wyk, Westerland." Von einem ähnlichen
Zyklus mit Titel "Ein Besuch der Nordseebäder Borkum und Norderney"
(Nr. 843) sind einige Stereodias auf Norderney bei
der Kurverwaltung erhalten geblieben. Es war offenbar üblich, dass
im Auftrag von Städten und Kurverwaltungen Bilderserien angefertigt
wurden, die dann von Fuhrmann koloriert und in sein Programm aufgenommen
wurden. Ähnliche Serien gibt es u.a. von Lüneburg ("Lüneburg
und die Lüneburger Heide", gezeigt 1907 mit dem Zusatz "Auf Veranlassung
und auf Kosten des Verkehrsvereins aufgenommen") und von Celle ("Celle
und die Lüneburger Heide mit Naturschutzgebiet" 1912/13). Auch in
Celle sind einige Bilder aufgefunden worden, außerdem konnten Belege
dafür beigebracht werden, dass Fuhrmann 200 Mark für die Aufnahme
des o.g. Bilderzyklus in sein Programm verlangt hat, was auch akzeptiert
worden ist.29
Unterdessen sind auch im restlichen Ostfriesland Kaiserpanoramen zur Aufstellung gekommen. In Aurich, Norden und auf Norderney lassen sich nur sporadisch Aufenthalte eines solchen Geschäftes nachweisen, öfter aber in Leer und vor allem in Emden. Auch hier musste man sich 1894 erst mit der neuen Attraktion anfreunden, aber Dank unermüdlicher Pressearbeit durch die "Ostfriesische Zeitung", die wie andere Zeitungen auch allwöchentlich jede neue Bilderserie wohlwollend vorstellte, wandelte sich anfängliche Distanz zur Begeisterung. Insgesamt kam das Kaiserpanorama zwischen 1894 und 1905 sechs Mal nach Emden, ins "Tivoli", in die "Börse" und in das Haus "zwischen beiden Syhlen" 30. Emden war damit die am häufigsten frequentierte Anlaufstelle in Ostfriesland, von Wilhelmshaven als Marinestandort einmal abgesehen. Typische
Besprechung eines Kaiserpanorama- Programms in der Presse. Ostfriesische
Zeitung, Emden, 20.6.1896. Bis 1905 in Emden und 1906 in Leer kann man Gastspiele von Kaiser- Panoramen beobachten, dann kam kein Schausteller mehr mit einem Kaiserpanorama in das ländliche Ostfriesland, was sicher mit nachlassendem Publikumsinteresse zu begründen ist. In Wilhelmshaven hingegen gab es in diesem Zeitraum zeitweise sogar zwei Panoramen gleichzeitig, die sich das Publikum streitig machten. Hier beendete das letzte Kaiser - Panorama im Mai 1911 den Spielbetrieb, nach fast 20 Jahren Spieldauer war wohl gegen die hier in Wilhelmshaven massive Konkurrenz der 10 Kinos (1910) nichts mehr auszurichten. Der Erste Weltkrieg sorgte für eine kurze Wiederkehr des Kaiserpanoramas in Ostfriesland. Offenbar glaubten die Betreiber, mit Bildern von den Kriegsschauplätzen ein solches Geschäft rentabel betreiben zu können. Diedrich Dirks, in Leer bekannt als Autohausbesitzer und Kinobetreiber, als Vertreter der AEG und passionierter Fahrradfahrer, eröffnete am 18. März 1915 in der Mühlenstraße 41 ein auch so genanntes "Kaiser - Panorama". Gezeigt wurden Serien mit Kriegsbildern wie "Kriegsschauplatz in Galizien" oder "Mit unseren Truppen von Ostpreußen nach Lodz" und vornehmlich Ansichten aus verbündeten Ländern. Die Familie Dirks unterhielt das Kaiserpanorama nur bis September 1915, dann wurden das von ihr betriebene Kino und das Kaiserpanorama geschlossen, was sicherlich mit dem Tod von Diedrich Dirks jun. an der Front in Zusammenhang stand. Auch in Wilhelmshaven stand noch einmal für kurze Zeit, von Januar bis April 1917, ein Kaiser- Panorama. Die Zeit für dieses Medium war offensichtlich endgültig abgelaufen. August Fuhrmann leitete sein Unternehmen noch bis 1922, bis er es als 78jähriger an die "Weltpanorama AG" verkaufte. Seine Bemühungen, dass der Staat vielleicht sein Bildarchiv übernehmen würde, blieben erfolglos. 1924 starb August Fuhrmann im Alter von 80 Jahren. Sei riesiges Bildarchiv wurde in alle Winde verstreut. Ein bedeutender Rest von 12000 Bildern konnte Anfang der 80er Jahre von Prof. Erhard Senf aufgekauft werden, der diese Bilder in einem 12- sitzigen Nachbau eines Kaiserpanoramas zeigt. Ein solcher Nachbau wurde zum ersten Mal 1989 im Rahmen der Ausstellung "Lichtbilder - Lichtspiele" in Ostfriesland aufgestellt. Und noch heute gibt, von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, ein festes Kaiserpanorama im hohen Norden. Das Marinemuseum in Wilhelmshaven beherbergt einen achtsitzigen Nachbau, der Bilder aus der Marinewelt, u.a. beeindruckende Innenansichten eines U – Bootes, bereithält. Achtsitziges
Kaiserpanorama im Marinemuseum Wilhelmshaven (1999). Eine überraschende Wiedergeburt
erleben die vorkinematographischen Medien derzeit im neuen Medium Internet.
Auf vielen Seiten werden photographische 360° - Ansichten präsentiert,
die ähnlich einem Cyclorama per Mausklick im Betrachtungsbereich "abrollen".
Fuhrmann´sche Original - Kaiserpanoramabilder aus der Sammlung Erhard
Senf lassen sich ebenso aufrufen, wie Hunderte von aktuellen Stereophotographien,
die dreidimensional wirken, wenn sie durch eine rot/ blau - Brille betrachtet
werden. Eine Zusammenstellung interessanter Seiten findet sich unter der
Adresse: http://www.uni-oldenburg.de/kunst/mediengeschichte/ kaiserpanorama/links.htm.
Beispiele für SPIELPLÄNE (soweit aus Annoncen rekonstruierbar) Wilhelmshaven 1906 Ab....
Leer 1915 Ab...
Zyklus Nr. 424 Ein interessanter Besuch deutscher Nordseebäder
1. Ankunft von Passagieren am Bahnhof in Borkum.
Quelle: Handzettel zum Zyklus 424. Photographica- Sammlung Kaiser- Panorama-
Berlin, Erhard Senf.
Anmerkungen 1 Oettermann, Stephan: Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums. Frankfurt a.M. 1980, S. 186 2 Oettermann schreibt an anderer Stelle, daß das Kaiserpanorama „vom Panorama wenig mehr als den Namen geerbt hatte“. In diesem Zusammenhang erscheint es gewagt, ein Kaiserpanorama in einer Ausstellung aufzubauen, die den Namen „Sehsucht- Das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts“ trägt, wie geschehen 1993 in Bonn in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. 3 Hälbig,
Karsten: Das Kaiser- Panorama. Filiale von Berlin. Ein Beitrag zur 700-
Jahr- Feier der Stadt Celle. Celle 1992,
5 Zitiert nach Oettermann: Das Panorama, S. 83 6 Oettermann,
Stephan: Die Reise mit den Augen- „Oramas“ in Deutschland. In: Sehsucht.
Das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhundert, Bonn 1993, S.
47
9 Annonce in der „Ostfriesischen Zeitung“, Emden, 6.7.1849 10 Annonce
in der „Ostfriesischen Zeitung“, Emden, 25.12.1852, ausführlicher
wird über die optischen Medien in Ostfriesland im 19. Jahrhundert
eingegangen in:
17 Staatsarchiv Aurich Rep 15 5667, zitiert nach Timm, a.a.O. 18 Ostfriesische
Nachrichten, Aurich, 10.6.1882
28 Wilhelmshavener
Tageblatt, 25.3.1893
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