Hans Happel
Das Kino und sein Kritiker
Hermann Freudenberger, ein Feulletonist als Filmpapst

Freudenberger, erzählt eine Leserin, den haben wir geliebt und gelesen wie das Wetter oder Witze. Hermann Freudenberger war fast ein Vierteljahrhundert Feuilletonchef der Bremerhavener Nordsee-Zeitung. Er war eine stadtbekannte Erscheinung gewesen, ein eleganter, immer modisch gekleideter Mann, der die bewundernden Blicke heimlicher Verehrerinnen auf sich zog. Mit 25 Jahren wird er Theater -und Filmkritiker und bleibt bis zu seinem Abschied von Bremerhaven streitbarer, geschätzter und vielgelesener Kulturpapst der Stadt. 1969 wechselte er zu den "Stuttgarter Nachrichten". Hinter der Maske eines schwäbischen Originals namens Knitz blickte er während der 70er und 80er Jahre bis zu seiner Pensionierung 1986 in den schwäbischen Alltag.1

Ab November 1947 ist Freudenberger Redakteur der „Nordsee-Zeitung". Im Lokalteil wird er zum unübertroffenen Meister der „Lokalspitze", einer Glosse, die - in den ersten zwei Jahren unter dem Etikett „Das Tagebuch" - an der Spitze der Lokalseite steht.

Freudenberger „flaniert" durch Bremerhaven, zwischen Trümmern und Not sammelt er ein, was ihm auffällt. Er registriert Fortschritte des Wiederaufbaus, den Lebenswitz herumstreunender Kinder, die neu entstehende oder wiederaufgebaute Welt der Tanz- und Kinopaläste. Er notiert aber auch Rückfälle in die Vergangenheit, von denen er sich - ohne direkt ein politisches Wort zu sagen - entschieden distanziert. Es ist die elegante, leichte und gewitzte Feder des Feuilletonisten, die seinen für den Tag gedachten Texten etwas Haltbares gibt, das sie auch Jahrzehnte nach ihrer Entstehung noch lesbar macht.

Den scharfen Blick und die spitze Feder bewahrte sich der Autor vor allem im Kino. Wo er auf der Leinwand dem restaurativen Zeitgeist in seiner Heimatschnulzen-Version begegnete, nahm er ihn mit Genuß auseinander.

„Ins Kino gehen ist der Lieblingszeitvertreib der Bremerhavener", konnte Freuden-berger 1956 feststellen. Innerhalb von neun Jahren, von 1950 bis 1958, sind in der Stadt 4000 Filme erstaufgeführt worden. Um den "guten Film zu fördern", rezensierte Freudenberger wichtige Filme "mit derselben Ausführlichkeit wie Premieren auf dem Theater." Ein großer Teil der weniger wichtigen Filme wurde in Kurzkritiken abgehandelt. Daneben erschienen Sonderseiten über die Arbeit einzelner Regisseure, über Filmstile und -genres, sowie Reportagen von den Dreharbeiten zu aktuellen Filmen. Analog zum Resümee am Ende jeder Theaterspielzeit gab Freudenberger regelmäßig einen umfassenden Jahresrückblick auf Titel, Zahlen und Qualität der Filmproduktion. „Man zeige uns eine Tageszeitung, die sich so abstrampelt wie die unsrige", schreibt er 1958.3

Als Filmkritiker erlaubt sich Freudenberger jene Frechheiten, die er sich als Glossist der konservativen 50er Jahre zunehmend verbietet.

"Beispielsweise: Eine billige Story mit Musik von Bach, Mozart oder Vivaldi zu untermalen, ist keine Kunst, sondern Blenderei. Man nennt das die Verzuckerung der eigenen Talentlosigkeit mit Hilfe erprobter Meister. Filme, die in Musik schwimmen, haben es meistens nötig. Beispielsweise: Wehende Vorhänge im Schlafzimmer, die brennende Scheune im Farbfilm, der Sonnenuntergang mit obligater Violine, das strampelnde Baby in der Wiege als todsicherer Rühreffekt, dreimal Weihnachten, am Anfang, in der Mitte und am Ende der Handlung, der Mann in voller Kleidung unter der Brause, der Kinderchor mit der schönen Weise ,So nimm denn meine Hände' bei der Trauung in der Dorfkirche, der Ringkampf am Wasserfall mit Fortsetzung im reißenden Fluß ... das alles verrät nicht den Regisseur der gehobenen Klasse, sondern den filmischen Maurermeister."4

Am 24. November 1953 schreibt Adolph Wöhlcken, der Besitzer des „Gloria-Theaters" und des im selben Haus gelegenen „Mozart-Saal"-Cafes in der Hafenstraße 55 einen Brief an Herrn H. Freudenberger, Nordsee-Zeitung, Bremerhaven: Wie ich Ihnen bereits mündlich mitteilte, haben Sie in der vom 16. 11. d. J. gebrachten Kritik außer dem Film "Julius Cäsar" das Gloria-Theater kritisiert. Sie gebrauchen daselbst die Worte: „Sein gutes Omen ist, daß er erfolgreich in einem Kino anlief mit vorwiegend jüngerem und literarisch nicht gerade verwöhntem Stammpublikum."

Sie prädikatisierten den Film "Julius Cäsar" mit „sehr gut". Diesem ein anderes Prädikat zu geben, war Ihnen nicht möglich, da der Film bereits durch die Filmbewertungsstelle mit dem Prädikat „wertvoll" ausgezeichnet war. Eine Herabminderung in dieser Richtung war Ihnen nicht möglich. Nun versuchten Sie, das Theater und unser Theaterpublikum in Mißkredit zu bringen.

Es ist Ihnen bekannt, daß außer diesem Film noch andere bedeutende Filme in meinem Theater gezeigt wurden. Auch dürfte Ihnen bekannt sein, daß ich die Spitzenfilme der Firmen Metro-Goldwyn-Mayer, Paramount, Warner Bros, und Amerik.-Universal-Film bringe. Es sind dies die bedeutendsten Fabrikationsfirmen Amerikas.

Ich möchte Ihnen nur einige der bereits gespielten Filme nennen. Ivanhoe, der schwarze Ritter / Robin Hood und seine tollkühnen Gesellen / Des Königs Admiral / Die größte Schau der Welt / Gegen alle Flaggen / Unternehmen Seeadler / Der Henker von London / Casablanca / Die Narbenhand / Der jüngste Tag / Drei kleine Worte /Die Schatzinsel / Kongo - flammende Wildnis / Aloma, die Tochter der Südsee / Die scharlachroten Reiter / Die Karawane der Frauen / Dr. Wassels Flucht aus Java / Du lebst noch 105 Minuten / Raue Ernte / Der Held von Burma / Sein letztes Kommando / Anna Karenina / Scaramouche, der galante Marquis / Bis zum letzten Atemzug / Sabotage / Bezaubernde Frau / Männer machen Mode / Königin Victoria / Samson und Delilah / König Salomons Diamanten / Geheimnisvolle Tiefe / Die Unbesiegten / Dr. Johnsons Heimkehr / Flucht aus Paris / Der Wüstenfalke / Sein großer Kampf / Kameliendame / Die lustige Witwe / Rivale und Verräter / Cleopatra / Donner in Fern-Ost / Drei Fremdenlegionäre / Verlorenes Spiel / Mata Hari / Königin Christine.

Sämtliche aufgeführten Filme stehen auf hohem Niveau und sind nach Ihrer Meinung von literarisch nicht verwöhntem Publikum angesehen worden! Nach der Frequenz des Gloria-Theaters kann man annehmen, daß 50000 Menschen den einen oder den anderen Film gesehen haben. - Wollen Sie behaupten, daß diese alle geistig minderveranlagte Menschen waren?

Man muß annehmen, daß es Ihnen bei dieser Kritik darauf ankam, das Ansehen des Gloria-Theaters in Mißkredit zu bringen, um ein anderes Theater dafür zu empfehlen. Diese meine Meinung wird von einem großen Prozentsatz der Leser geteilt, die mich auf diese eindeutige Kritik hin ansprachen. Sie ließen weiterhin außer acht, daß Sie mit Ihrer Kritik auch die gesamte amerikanische Filmproduktion herabsetzten.      

Wenn ich mich mit diesem Schreiben an Sie persönlich richte, geschieht es lediglich aus dem Grunde, weil ich Sie in Ihrer Position nicht schädigen möchte. - Sollten sie jedoch der Meinung sein, daß meine Entrüstung zu Unrecht besteht, erwarte ich, daß Sie dieses Schreiben Ihrer Direktion zur Stellungnahme vorlegen.

Einschreiben!
Hochachtungsvoll
Adolph Wöhlcken

Am 4. Dezember 1953 mischt sich Walther Steinkamp, Hamburgs Filialleiter von Paramount Films of Germany, in die Auseinandersetzung ein. Der empörte Kinobesitzer hatte ihm Freudenbergers Rezension von "Julius Cäsar" zugesendet, nicht ohne deutlich auf den inkriminierten Satz hinzuweisen. In einem Brief an den Feuilletonchef versucht Steinkamp diplomatisch zu vermitteln. Seine gewunden freundlichen Formulierungen verdecken die versuchte Nötigung des Journalisten kaum. „So wie ich Sie kenne, lieber Herr Freudenberger, und auch so, wie ich den Satz lese, bin ich davon überzeugt, daß es Ihnen ferngelegen hat, das Gloria-Theater irgendwie wertmäßig herabzumindern. Immerhin kennen Sie, lieber Herr Freudenberger, andererseits die berühmte vox populi, die solche Sätze aufgreift, um sie entstellt weiterzugeben. Nun einmal der Satz geschrieben steht und nicht mehr gelöscht werden kann, mir andererseits daran gelegen ist, daß ein so filmfreudiger Journalist wie Sie, lieber Herr Freudenberger, dem Gloria-Theater in alter Zuneigung erhalten bleibt, möchte ich einen Vorschlag zur Güte machen: Bringen Sie in der nächsten Besprechung über den im Gloria laufenden Film einen Satz an, in dem Sie dem Gloria-Theater eine Anerkennung zollen für die dort in den letzten Jahren gezeigten Filme von Niveau. Ich glaube, daß Sie das ohne weiteres tun können, ohne sich etwas zu vergeben, denn tatsächlich hat das Haus gute bemerkenswerte Filme zur Aufführung gebracht, um nur aus meiner Produktion die Filme ,Die größte Schau der Welt', ,Dr. Wassells Flucht aus Java' und ,Die drei Fremdenlegionäre' zu erwähnen. Es sollte mich herzlich freuen, lieber Herr Freudenberger, wenn Sie meinem Wunsche entsprechen könnten und damit den Satz, der tatsächlich leicht mißverstanden werden kann, nicht nur aufheben, sondern das Gloria-Theater mit einer neuen Gloriale umgeben. In alter Verbundenheit bin ich mit freundlichen Grüßen Ihr W. Stein-kamp."

Freundenberger muß diesen Vorgang sehr ernst genommen haben. Am 9. Dezember reagiert er in einem ausführlichen, eineinhalb DIN-A4-Seiten langen, engzeilig schreibmaschinengeschriebenen Brief an Adolph Wöhlcken. Höflich, aber in der Sache deutlich, wehrt sich Freudenberger gegen die Unterstellungen, die ihm gemacht wurden.                              

"Ich setze die Bezeichnung: ein literarisch nicht gerade verwöhntes Stammpublikum auf keinen Fall gleich mit der Bezeichnung: geistig minderwertige Menschen, wie Sie es mir wörtlich unterstellen. Das sind zweierlei Begriffe, wie Ihnen jeder Jurist bestätigen wird.

Außerdem steht in der Kritik, um die es hier geht: Bravo, Gloria! Eine solche positive Redewendung haben wir noch nie für ein Filmtheater gebraucht. Das, sehr verehrter Herr Wöhlcken, haben Sie bisher leider nicht vermerkt. Auch habe ich bewußt verschwiegen, daß es in Ihrem Theater gerade bei der Vorführung von 'Julius Cäsar' von der Mitte des Films ab, geradezu störend unruhig wurde, verursacht offensichtlich von jenem Publikum, das sich unter dem Film etwas anderes vorgestellt hat. Daß es mir darauf ankam, wie Sie behaupten, das Ansehen Ihres Theaters in Mißkredit zu bringen, um, wie Sie behaupten, ein anderes Theater dadurch zu empfehlen, ist eine nicht nur fast verletzende, sondern auch vollkommen unwahre Behauptung. Ich bin gerne bereit, alle meine filmischen Veröffentlichungen innerhalb der letzten fünf Jahre einem neutralen Dritten daraufhin zur Prüfung vorzulegen." An dieser Stelle hätte der Brief beendet sein können, aber Freudenberger nutzt ihn, um Grundsätzliches zu seiner Arbeit als Filmkritiker zu sagen. Offen benennt er Kriterien und Zwänge seiner Arbeit. "Allerdings haben wir einen Grundsatz, sehr geehrter Herr Wöhlcken und von dem weichen wir auch in Zukunft nicht ab: prä-dikatisierte Filme gehen vor. Als Sie den prädikatisierten 'Julius Cäsar' spielten, waren wir sofort da und haben Ihnen denselben Platz für eine ausführliche Besprechung eingeräumt wie den übrigen Theatern bei solcherlei Anlässen auch. Die anderen Filme, die Sie in Ihrem Brief aufzählen, waren gut, sehr gut und erstklassig, aber nicht prädikatisiert. Wir halten uns bewußt an die Prädikate, die die Länderbewertungsstelle vergibt, damit uns niemand etwa vorwerfen könnte, wir allein würden darüber bestimmen, was künstlerisch wertvoll sei.

Daß ich die amerikanische Filmproduktion herabgesetzt hätte, stimmt ebenfalls nicht. Ich kenne sämtliche amerikanischen Verleihleute in Hamburg persönlich wie Sie. Wir kommen nicht nur nach wie vor gut miteinander aus, sondern ich bin auch dort nach wie vor bekannt als deutlicher Freund des amerikanischen Films. Der einzige Film, den wir in diesem Jahr gegen unsere eigene Meinung ausführlich und sogar noch wohlwollend kritisierten, obwohl er es nach filmkünstlerischen Maßstäben ganz und gar nicht verdiente, war Ihr Film: ,Das Kabinett des Professor Bondi'. Haben das Ihre Freunde, die mir angebliche Parteilichkeit vorwerfen, auch registriert? Sehr geehrter Herr Wöhlcken: Mir ist Ihr Kino genauso lieb wie jedes andere und ich komme ebenso gern in Ihr Café. Unser Beruf bringt mit sich, daß wir mit den Filmtheaterbesitzern nicht immer einer Meinung sein können, denn wir schreiben zwar für neun Filmtheaterbesitzer und Filmtheaterinserenten, aber auch für 100 000 Leser."5

Dieser Hinweis war deutlich. Der vielgelesene Feuilletonist wußte, was er sich erlauben konnte. Der Filmkritiker war für die lokalen Filmtheaterbesitzer so unangenehm wie der Theaterkritiker für das Stadttheater. Als er 1959 im "Gloria-Theater" nach einer Glosse über Horror-Filme Hausverbot erhält, macht er den Fall öffentlich. Aber sein Kontrahent ist nicht mehr Adolph Wöhlcken, der im Jahr nach dem brieflichen Streit gestorben war. 1959 wurden das "Gloria" und drei weitere Bremerhavener Kinos - „Tivoli", „Astoria" und „Wulsdorfer Lichtspiele" - von der Bremer Firma Luedtke & Heiligers betrieben. „Spielen Sie saubere Filme, dann kriegen Sie auch saubere Besprechungen", fordert Freudenberger - "in zorniger Sorge" - die Kino-Betreiber auf, "wir haben genug Rüpel hier, wir sollten sie nicht auch noch mit Gewalt im Kino züchten."6 Daraus sprach vielleicht eine konservative Überschätzung der Medien, vielleicht auch die Angst vor der Generation der sogenannten „Halbstarken", die ihre wilden Triebe unter anderem an Kinogestühl ausließen, aber Freudenberger war als engagierter Cineast viel zu klug, um sich auf das Niveau prüder Sittenwächter im Stil der „Aktion Saubere Leinwand" herabzulassen.

Nach seiner öffentlichen Boykott-Erklärung sprachen ihm Leser und Leserinnen in Briefen an die Nordsee-Zeitung Mut zu („nicht unterkriegen lassen"). „Seien Sie versichert", schreibt beispielsweise ein Anonymus, der (oder die) nur mit den Anfangsbuchstaben genannt wird, „daß ich die vier genannten Lichtspielhäuser so lange nicht besuchen werde, bis ich aus Ihrer Feder lese, daß diese Angelegenheit zu Ihrer Zufriedenheit erledigt wird. Wenn Sie dafür in der nächsten Zeit wieder so glänzende Artikel schreiben, ähnlich dem ,Der Wilderer vom Silberwald', kann ich für einige Wochen den Kino-Besuch gern entbehren."7 Freudenbergers Glosse auf den Heimatfilm „Der Wilderer vom Silberwald" (BRD 1957) war fast eineinhalb Jahre vor der Kino-Fehde erschienen und dem unbekannten Leserbriefautor trotzdem noch eine Erwähnung wert. Die Texte des Kritikers wurden von einigen Lesern gesammelt und besaßen eine Langzeitwirkung, die im Zeitalter der Ex- und Hopp-Produktion von Tagestexten überraschen muß. Mit genüßlicher Frotzelei führt Freudenberger am "Wilderer vom Silberwald" die Klischees des deutschen Heimatfilms vor: "Das Schönste am Heimatfilm sind immer die Hirsche bei Nacht. Hier auch. Wenn der kapitale Bock ins Bild tritt, weht eine Musik durch den Zuschauerraum, wie der „Einzug der Gäste auf der Wartburg" von Richard Wagner. Dann steht er da, in Großaufnahme, das Geweih über die ganze Leinwand zertstreut, und wartet auf den Wilderer." Die Deutschtümelei des Heimatfilms spießt Freudenberger fast beiläufig, aber um so wirkungsvoller auf: „Der Jäger ist eine Seele von Mensch. Er nimmt sie (des Försters Töchterlein) unter seinen Umhang, wenn es regnet. Er holt sie von der Leiter, wenn die Sprosse bricht. Er antwortet, als er gefragt wird, ob er schon einmal in Venedig gewesen sei, mit dem wundervoll keuschen Satz: ,Ich bin noch nie über unsere Grenzen hinausgekommen.'8

Freudenberger sah sein Anliegen darin, die „filmische Aufklärung" zu fördern. Im Oktober 1953 gehört er zu den Gründungsmitgliedern des Bremerhavener Filmclubs, der innerhalb kurzer Zeit mehr als 500 Mitglieder zählte. Der Club zeigte in geschlossenen Vorstellungen - häufig Sonntag vormittags im "Europa" - die Meisterwerke der Filmgeschichte, er machte mit den bedeutendsten internationalen Regisseuren bekannt, mit den Klassikern des europäischen und amerikanischen Kinos, und sorgte dafür, daß Bremerhavens Film-Kultur sich mit dem Angebot der Metropolen messen konnte.9

Gelegentlich dozierte Freudenberger vor großem Publikum in der Volkshochschule, oder er ließ sich von der Evangelischen Kirche zu Filmseminaren mit Jugendlichen einladen.10

Im September 1965 rezensiert er den Film "Schützenfest" (Jour de Fete) von Jaques Tati. Der kleine Text, wenig mehr als eine längere Bildunterschrift, ist eine Hommage an den Regisseur und Darsteller Tati, in der der Feuilletonist sich selber porträtiert. „Tatis Humor ... ist kein harmloser Humor, er ist eher bissig. Hinter jeder Pointe, hinter jedem Knoten steckt die Philosophie des Skeptikers. Wenn man den Schwergewichtler der Komik mit einem Leichtgewichtler wie Millowitsch vergleicht, ahnt man vielleicht, warum ein solcher Film sich zwanzig Jahre hält. Es ist der zähe, der scharfe, der umwerfende Witz, nicht der biedere, nicht der geschluderte. Es sind die saftigen Clowns in der Manege, vom Großvater geerbt, und es sind die deftigen Granteleien von Karl Valentin. Drumherum ein sanftes, kleines Dorf mit einer Fülle von Figuren, die den Witz anheizen oder auffangen. (...) Wahrscheinlich rührt die weltweite Sympathie für Tati auch daher, daß er im Zuschauer Kindheitserinnerungen weckt: an die Streiche in der Schule, an das Märchen, an das Kasperletheater. Wenn man hier das Publikum lachen hört, krachender als sonst, inklusive der Spätlacher, die dann anfangen, wenn die ändern schon drüberweg sind und auf den nächsten Spaß lauern, dann fragt man sich, warum es nicht mehr lustige Filme gibt und nur einen Tati auf der Leinwand: eben drum, weil Humor zwar nicht schwer ist, guter aber doch."11

Daß der gebürtige Schwabe die Hafenstadt, in der er nach dem Krieg hängengeblieben war, mit Zuneigung und Neugier betrachtete, hat er als Glossist des städtischen Alltags in seinen mild ironischen Spitzen immer wieder gezeigt. Die Stadt "hart am Wasser" mit ihrem unberechenbar schlechtem Wetter, mit ihrem Wind, ihrer Kälte und ihren rauhen Tagen hat einen Reiz, den Freudenberger am genauesten trifft, als er gar nicht von Bremerhaven spricht, sondern von der weit entfernten Welt des Films, zu der er sich ins Kino flüchtet. Über Elia Kazans "Die Faust im Nacken" (on the waterfront) schreibt er 1955: „Es ist ein Film mit erregend echter Hafenatmosphäre. Die ganze schlampige Unaufgeräumtheit einer Stadt von See her, das Kommen und Gehen, das Laden und Löschen, die Emsigkeit und der Betrieb, die Typen, die Kräne, das Gehupe und Gekreische, der ganze unterirdische Sog nach draußen - ohne diese grauen, nassen Bilder wäre der Film kaum die Hälfte wert."12 Der ganze unteriridische Sog nach draußen, damit charakterisiert Freudenberger nicht nur die echte Hafenatmosphäre in den 50er Jahren, er berührt das offene Geheimnis des Kinos. Das aber hat sich bis heute nicht geändert.

Anmerkungen

1 Hermann Freudenberger ist 1992 gestorben, vgl. auch: Freudenberger, „Meine Liebe zu Bremerhaven", (Hg. Claus Petersen, Bremerhaven 1992) sowie Freudenberger, „Begegnungen und Gespräche" (Hg. Claus Petersen, Bremerhaven 1993)   

2 NZ v. 21. 1. 1956 „Bremerhaven 1955 - Kleine Filmplauderei mit Zahlen, Titelnamen und Ergebnissen" 

3 NZ v. 15.2. 1958 „Film und Bremerhaven 1957 -Kleine Plauderei mit Zahlen und Titeln"

4 NZv. 15.2.1958 

5 Die Briefe hat mir Claus Petersen zur Verfügung gestellt 

6 „Hausverbot" NZv. 1. 8. 1959 

7 NZ v. 6. 8. 1959 Leserbriefe zum Thema „Hausverbot". Die Seite dokumentiert neun Leserbriefe  

8 „Der Wilderer vom Silberwald" oder: Die Macht der Wildsau NZv. 31.3. 1958  

9 NZ v. 1.11.1958 

10 vgL NZ v. 30.10.1957 

11 NZ v. Sept. 1965 

12 NZ v, 17. 3.1955 

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