Hans-E. Happel
TIVOLI: "Das Beste überhaupt"

Erinnern Sie sich noch ans „Tivoli"? Joachim Fuß zögert keinen Augenblick. „Selbstverständlich. Ganz genau. Das Tivoli war für die damalige Zeit das Beste überhaupt." Der Jazz- und Kino-Fan spricht von den 50er Jahren und vom Herzstück des verschachtelten Vergnügungstempels an der Grazer Straße, in dem der Unternehmer Willi Braune 1927 ein Kino eröffnete. Am 18. September 1944 wurde der Gebäudekomplex bei einem Luftangriff ausgebombt. Ab 1949 wird der renovierte Saal mit seiner großen Bühne zu einem der wichtigsten Veranstaltungsräume in der schwer zerstörten Stadt.

Am 16. April 1949 öffnet das „schöne Lichtspieltheater" seine Flügeltüren. Der „prächtige" Tivoli-Saal faßt 1261 Personen. „Er war wunderbar", sagt Joachim Fuß, „man saß in sehr weichen Polstern, da sackte man richtig weg." Die himmelblaue Decke ziert ein kreisrunder Stuck-Fries mit trompetenspielenden Putten. Zeitgemäße Leuchtstoffröhren dienen als Festbeleuchtung. An jedem der acht Eingänge zum Saal steht eine Platzanweiserin, die Plätze sind numeriert. Obwohl es vier Vorstellungen am Tag gibt, bilden sich im Treppenaufgang vor den Kinokassen häufig lange Schlangen. Der erste Film mit dem optimistischen Titel „Morgen ist alles besser" gehört zur frühen deutschen Nachkriegsproduktion. Aber im größten Kino der Stadt werden nicht nur Filme gezeigt.

Hier finden überregionale Tanzturniere statt, gutbesuchte Modenschaus, der Bühnenbari des Stadttheaters und Kundgebungen des WN, des Verbandes der Verfolgten des Naziregimes. Im September 1949 tritt Hermann Raschke, Pastor der Großen Kirche, auf die Bühne des großen Saals und warnt vor kommenden Kriegen: „Waffen sind Wahnsinn und Kriege Verbrechen." Zum 30. Jubiläum der Arbeiterwohlfahrt spricht - zwei Monate später - der niedersächsische Flüchtlings-Minister Heinrich Albertz. Die Freidenker feiern 1949 im Tivoli Jugendweihe".

   
Joachim Fuß erinnert sich nicht nur an die Filme im Cinerama-Verfahren (mit drei Projektoren), er hat Bühnenshows mit Kurt Edelhagen erlebt, „Bunte Abende" mit Ilse Werner und „hervorragende Jazz-Veranstaltungen", unter anderem mit dem amerikanischen Pianisten und Bandleader Stan Ken-ton. Variete-Abende mit der ersten Garde deutscher Unterhaltungs-Stars laufen alle 14 Tage am Sonnabend, meist vor ausverkauftem Haus.

Im August 1954 gastiert Heinz Erhardt mit einer „herzerfrischenden Klamotte" im Tivoli. Hermann Freudenberger, Feuilleton-Chef der Nordsee-Zeitung, schreibt: „Wenn der Mann den Mund auftut, juchzt das Haus, wenn er mit den Fingern spielt, juchzt das Haus. Wenn er sagt, ,zum Kaffee trinke ich Tee', juchzt das Haus." 1955 tritt auf der Tivoli-Bühne der gesamte Valente-Clan auf: Caterina mit Mutter Maria, den Brüdern Pietro und Silvio Fran-cesko. Gastauftritte geben neben vielen anderen Zarah Leander, Marika Rökk, Vico Toriani, Evelyn Künnecke, Peter Frankenfeld, der Clown Charlie Rivel, der Geiger Helmut Zacharias.

Am Ende der 50er Jahre geht die Zahl der Kino-Gänger schlagartig zurück. 1957 wurden an den Kinokassen Bremerhavens 2,7 Millionen „Billets" abgesetzt. Im folgenden Jahr werden fast 400000 Karten weniger verkauft.

 

Hermann Freudenberger listet in seinem Jahresbericht die Gründe auf: „Reisen, verlängertes Wochenende, Motorisierung, Schallplatte, Abzahlungsverpflichtungen, das verschärfte Jugendschutzgesetz, Fortfall der verbilligten Karten für Rentner, aber ein Grund ist sicherlich auch das Fernsehen und die teilweise dürftige Qualität der Filme." Mit spitzer Feder zieht der gefürchtete Filmkritiker 1959 über die Welle von Heimatfilmen her „mit Titeln, die man oft kaum mehr auseinanderhalten konnte." Willi Braune hatte sich aus Altersgründen 1958 -gerade zur rechten Zeit - vom Kinogeschäft zurückgezogen. Das größte Kino der Stadt schließt im Frühjahr 1964 seine Pforten. Einer der prächtigsten Nachkriegssäle gerät in Vergessenheit.


25jähriges Jubiläum am 28. März 1952:
Willi Braune (2.v.r.), Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Foto: Photo- Schemkes

In der 800 Quadratmeter großen Rumpelkammer finden wir 1993 unter Bauschutt zwei Filmplakate aus den 50er Jahren, Lohnlisten, Abrechnungen für Programmzettel und Schokoladenstand sowie den „Kassenrapport" für ein halbes Jahr. Er verrät die wahren Bedürfnisse der Kino-Besucher: Der Film „Verbrechen nach Schulschluß" hatte am ersten Juli-Wochenende 1959 freitags 699 und sonnabends 690 Besucher. Die „Billetts" kosteten damals 1,25 DM (Saalplatz) bis 2,- DM (Mittelrang auf dem Balkon). Sogar am Sonntag zog das Konfektionsstück der „Halbstarken"-Mode noch 582 Personen ins Kino. Schlechter erging es eine Woche früher dem Abenteuerroutinier John Huston. Sein Film über die Ausrottung der Elefanten im afrikanischen Busch hatte am Freitag, Sonnabend und Sonntag knapp über 1000 Besucher. Vielleicht lag es am Titel: „Die Wurzeln des Himmels".


Ein Foto vom Februar 1971:
Im ehemaligen Kinosaal des Tivoli sollen 40 "boutiques" für die Frau eingerichtet werden.
Der dilettantische Plan scheiterte. Foto: Walter Schumann.

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