Hoch hinaus mit guten Filmen: Leopold Winterhalder macht Qualitätskino im Hochschwarzwald.

Heimatkino

In der Provinz müssen die Bilder nicht laufen lernen. sondern fahren.
Ein Road-Movie aus der Regio
/ Von Jens Schmitz


anz oben werden Alternativen selten. Die Schwarzwaldgemeinde Titisee-Neustadt liegt auf 850Meter Höhe, der Hochfirst an der Gemarkungsgrenze bringt es auf fast 1200. Es gibt ein Heimatmuseum, den Titisee und die Hochfirstschanze; das Team von der Tourist-Info rühmt die Kneippkuren. „Auf dem Land muss man’s halt selber organisieren, wenn man was machen will“, sagt Leopold Winterhalder. „Das tun die Vereine ja auch.“ Der 45-Jährige ist im Ortsteil Waldau aufgewachsen, einem Weiler mit 350 Einwohnern, zehn Kilometer außerhalb. Im Selbermachen kennt er sich aus. Seit 1984 engagiert sich Winterhalder für die Grünen im Gemeinderat. Nach dem Studium in Freiburg führte er in Titisee-Neustadt den „Buchladen im Roten Haus“, dann heiratete er und legte eine Phase als Hausmann ein. Inzwischen ist der Nachwuchs 13, elf und neun Jahre alt, der Vater hat das alte Neustädter Kino gepachtet, das „Krone-Theater“ am Hirschenbuckel. „1999 war das, da lief hier nicht mehr viel“, erinnert er sich. „Ich war ja Hausmann, und so ein bisschen nebenher, dachte ich, kann man das ja machen. Aber aus dem Nebenher wurde immer mehr. Und entweder macht man’s richtig oder man lässt’s dann doch wieder bleiben.“

Winterhalder rückt seine kupferfarbene Brille zurecht. Für seine Filmprogramme ist er dieses Jahr zum sechsten Mal in Folge mit Qualitätspreisen vom Bund und vom Land bedacht worden. Winterhalder stellt Themenreihen zusammen, er organisiert Werkschauen und holt Regisseure nach Neustadt. „Gerade hier am Ort muss man für alle was bieten“, findet er. „Ich wollte von vornherein neben den großen Filmen auch Filmkunstmachen, nicht nur das eine und auch nicht nur das andere.“ Dass das funktioniert, ist nicht selbstverständlich. Städte wie Waldkirch sind größer, trotzdem haben dort das „Odeon“ und das „Roxy“ schon vor Jahrzehnten dichtgemacht. Die sechs verstreut liegenden Ortsteile von Titisee-Neustadt haben zusammen 12000 Einwohner. Längst vorbei sind die Zeiten, als das zusätzlich zum „Krone-Theater“ noch für ein zweites, größeres Lichtspielhaus reichte.

Im ehemaligen „Kurkino“ hängen schon lange keine Filmplakate mehr, dort wirbt heute der Supermarkt „Markant“, auf dem Parkplatz drehen sich die Spieße der Hendlbraterei „Hahn im Korb“. Anfang der 70er-Jahre hat Leopold Winterhalder im „Kurkino“ seine ersten Kinoerfahrungen gesammelt. Er lacht. „Welcher Film das war –wenn ich’s wüsste, würd’ ich’s nicht sagen. Irgend so ein japanischer Monsterfilm.“

Das Filmvorführen hat Winterhalder sich in Lenzkirch zeigen lassen, die Rollen tauscht er schon mal mit Kenzingen, und ein Teil seiner Stühle stammt aus dem Bugginger Kino: Man kennt und hilft sich untereinander. Gerade anfangs war das hilfreich, als es genug Schwierigkeiten gab – und Vorurteile. „Da hat’s dann geheißen, in Neustadt reißen dauernd die Filme oder man sieht nur den halben Film“, ärgert sich Winterhalder. „Ich weiß nicht, wo das herkam.“

Sein Kino muss sich vor denen in der Stadt nicht verstecken. „Die Leute sollen freiwillig kommen, nicht weil sie Mitleid haben.“ Winterhalder hat das Foyer in einem warmen Gelb gestrichen und für indirekte Beleuchtung gesorgt. Das muffige Kassenhäuschen unter der Treppe benutzt er nicht. „Ich hab’ einmal drin gesessen, bei Harry Potter“, erinnert er sich. „Ich kam mir vor wie’n Depp.“ Seit er das Kino übernommen hat, gibt es eine freundliche Holztheke. Dort macht Winterhalder Popcorn und Kaffee, es gibt Süßigkeiten und eine kleine Weinauswahl. Auf dem Plüschsofa und an einigen Bistrotischen können Besucher vor oder nach dem Film zusammensitzen. Winterhalder hat Dolby-Digital- und Surround-Klang-Systeme angeschafft, „das haben die Leute auch gemerkt“, sagt er zufrieden. „Kino soll besser sein als zu Hause.“ Seit 2004 gibt es neben dem großen Saal mit 146 Sitzen noch das „Krönli“, vor dessen Leinwand 35 Zuschauer Platz finden. Zusammen mit einem befreundeten Betonbauer hat Winterhalder selbst geschaufelt und gebaggert, so ist das auf dem Land.

Wer in Deutschland neue Filme zum Bundesstart bekommen will, muss sie drei Wochen am Stück zeigen und zwar jeden Abend. „Wenn ich nur einen Saal habe und drei Wochen lang das Gleiche spiele, wird es nicht nur für mich, sondern auch für das Einzugsgebiet hier langweilig“, weiß Winterhalder. Über 400 Filme starten jedes Jahr in Deutschland, seit Jahren sinkt die Anzahl der Kopien, die die Verleiher pro Film in Umlauf bringen. Weil sie mehr Umsatz machen, werden die Filmpaläste in den Großstädten bevorzugt bedient.

„Das ist schon logisch“, findet Winterhalder, „aber wenn ein Film nur mit 300 Kopien startet und dann noch gut läuft, dann gibt ihn natürlich kein Kino ab. Wenn er schlecht läuft, dann krieg’ ich ihn, aber dann will ich ihn ja vielleicht gar nicht unbedingt.“ Seit Winterhalders Umsatz und Renommée gestiegen sind, ist auch sein Programm aktuell. Sein eigener Lieblingsfilm bleibt trotzdem ein Klassiker. „Jeder Filmvorführer liebt Cinema Paradiso“, schwärmt er. Der italienische Streifen aus dem Jahr 1989 ist eine Liebeserklärung an das Kino, speziell an das in der Provinz.

„Wenn du von hier oben siehst, dass das Kino voll ist und die Leute lachen und sich amüsieren“, sagt der alte Alfredo am Projektor, „dann bist du eben auch zufrieden.“ Leopold Winterhalder erinnert sich an die Premiere von „Wie im Himmel“ und klingt ganz ähnlich: „Alle Altersschichtenwaren da, und alle kamen gerührt aus dem Saal. Zwei Damen haben sich extra bedankt bei mir, obwohl ich ja nichts dafür kann. Das ist dann das Schöne am Beruf.“

5,50 Euro kostet der normale Eintritt; bei Familien und Älteren ist das „Krone-Theater“ eine beliebte Institution. Die jungen Leute dagegen fehlen, besonders am Wochenende. „Wenn man die ganze Woche auf dem Dorf hockt, will man am Wochenende in die Stadt“, da macht sich Winterhalder keine Illusionen. Aber es gibt auch die umgekehrten Fälle: „Wir haben Leute, die aus Freiburg kommen, weil ein Film hier noch läuft. Man hat keine Parkplatzsorgen, der Eintritt ist günstiger, und der letzte Zug fährt auch erst um zwanzig vor elf zurück.“

alb sechs Uhr abends in Freiburg. Vor den großen Kinos duftet es warm und lockend nach Popcorn. Haushohe Poster und bunte Leuchtreklame versprechen Spannung, Gefühle, Fantasie. Den Multiplexen werden solche Materialien gestellt, die Kleinen müssen ihre Werbung selbst bezahlen. Für Andreas Schuler sind alle gleich: Cinemaxx, Harmonie, Friedrichsbau, zum Schluss kommt das Kommunale Kino im Alten Wiehrebahnhof. Wenn alle Freiburger Lichtspielhäuser versorgt sind, steuert er seinen weißen Lieferwagen zur Tankstelle in der Schwarzwaldstraße. Während er Kaffee und Zigaretten kauft, beginnt es zu regnen, dann geht es durch den Schützenalleetunnel hoch in den Schwarzwald. Auf der Ladefläche: Filmrollen, Poster, Popcornzubehör und Getränkebecher.

Jede Woche bringt Schuler endlose Asphaltkilometer hinter sich und noch mehr Zelluloid. Schuler ist der Lonely Rider des südbadischen Kinogeschäfts, ohne ihn läuft kein Film. Wenn zwischen Mittwoch und Donnerstag die Programme wechseln, liefert er den Kinos die neuen Rollen und nimmt die alten mit. Neben ihm liegt ein riesiger Schlüsselbund, eigentlich sind es mehrere Bünde, die von einem eisernen Reif zusammengehalten werden. „Schopfheim“, „Weil“, „Lörrach“ steht auf den Plastikschildchen. Weil Schuler mitten in der Nacht kommt, ist oft niemand mehr in den Kinos, um seine Lieferungen in Empfang zu nehmen. Er lässt sich dann selbst hinein.


Herr der Schlüsselringe: Nachts bringt Andreas Schuler neue Kinoträume in Südbadens Lichtspielhäuser.


Der Herr der Ringe ist Vater eines dreijährigen Sohnes und gelernter Feinmechaniker, er arbeitet als Freiberufler.Die Touren durch Südbaden sind ein gut bezahltes Zubrot, denn sie sind anstrengend. Ein Film wiegt 18 bis 25 Kilo, ein Ölfass 20, ein Maissack 22. Früher waren die Rollen in stabile Nietenkisten verpackt. Inzwischen haben die Verleihfirmen auf Einwegkartons umgestellt, Griffe gibt es nicht. Oft bleibt keine Zeit für Handschuhe beim Umladen, dann schneidet die dünne Paketschnur in die Handflächen. „Es wird wahnsinnig gespart in der Branche“, sagt Schuler. Der drahtige 39-Jährige arbeitet für die Filmspedition Bischoff mit Sitz in Aschaffenburg. 16 Euro zahlen die Kinos pro Film und Lieferung, in Südbaden hat das Unternehmen quasi ein Monopol. Zwar gibt es billigere Kuriere, die Berliner Cine Logistic etwa oder Speditionen wie UPS. Schuler und seine Kollegen aber haben ihr Angebot so auf die Bedürfnisse kleiner Kinos abgestimmt, dass diese gern etwas mehr bezahlen. Wenn die Kopien knapp sind, fährt Schuler auch zweimal dasselbe Haus an, erst auf der normalen Tour und dann morgens, wenn er wieder in Freiburg war. So können Kopien, die in der Spätvorstellung laufen, am nächsten Tag trotzdem im Schwarzwald starten.

„Lang wird’s das nicht mehr geben“, glaubt er allerdings. Wenn es nach den Verleihern geht, ist die deutsche Kinolandschaft in fünf bis zehn Jahren auf digitale Systeme umgestellt. Die Herstellung einer herkömmlichen 35mm-Kopie kostet 1500 bis 2000 Euro, die digitale Version einen Bruchteil. Klein, leicht und in ausreichender Stückzahl vorhanden, werden die Kopien dann wohl per Post ihren Weg zum Kino finden. Seit Oktober hat auch das Neustädter Krone-Theater eine Abspielmöglichkeit für solche Filme, ein Gerät, das Winterhalder mit den 12500 Euro Preisgeld finanziert hat, die er dieses Jahr erhielt.

Ab einer Leinwandgröße von zehn Metern wird der Spaß deutlich teurer: Zwischen 70000 und 150000 Euro kostet der Einbau großer Digitalprojektoren. In der Branche wird über Leasingmodelle diskutiert und über Finanzhilfen für Kinos mit kleinen Sälen, die umstellen oder schließen müssen, wenn es keine analogen Kopienmehr gibt.

Bei Leopold Winterhalder trinkt Andreas Schuler seinen letzten Kaffee in Gesellschaft. Dann geht es auf der B500 über den Schwarzwald und ins Hochrheintal hinunter. „Es gibt Kollegen, die sind total glücklich, wenn sie in ihrem Auto sitzen“, sagt Schuler. Seine eigenen Gefühle sind nicht so klar. „Auch wenn man ab und zu denkt: Geil, Kinofilme ausfahren –manchmal hat man natürlich schon die Krise: Was machst du mit deinem Leben?“ Schuler schnippt Glut in den Aschenbecher, er raucht fast unausgesetzt. „Die Momente nachts unterwegs, allein mit dem Deutschlandfunk und der Autobahn, im Einklang mit sich und der Welt, diese Momente gibt’s schon auch.“ Schulers Lieblingsregisseur ist David Lynch. Lynchs Filme heißen „Lost Highway“ oder „Mulholland Drive – Straße der Finsternis“.
 

ie Lampen, die Polster! Und alles riecht so schön alt!“ Beate Stöcklin ist begeistert. Die 28-Jährige sitzt im Kanderner „Blumen“-Kino und staunt. Über goldene Lampen vor lachsfarbener Wandbespannung, über goldene Flügelgriffe an gepolsterten Türen: Nierentisch - Ästhetik aus den 50er-Jahrenwohinman schaut. 257 Plätze gibt es im Parkett und auf dem Rang, alle mit Plüsch und Getränkehaltern. Die meisten Cinemaxx-Säle in Freiburg sind kleiner. Und Kandern hat gerade mal 8000 Einwohner. Stöcklin wohnt in Trubschachen in der Schweiz. Gemeinsam mit ihrer Bremer Freundin Steffi Mertenskötter ist sie bei deren Eltern zu Besuch, die vor zwei Jahren nach Kandern gezogen sind. Viele Möglichkeiten zur Abendgestaltung für zwei Endzwanziger gibt es nicht, aber das Kino eben doch. Auch Steffi findet den Palast von 1956 „kultig, richtig schön groß“. Kein Wunder – insgesamt verlieren sich heute Abend fünf Gäste in den Tiefen des Saales.

Das gekachelte Foyer ist ebenfalls riesig. Weil in Kandern alles noch ist, wie es früher war, sitzt Jochen Karg dort in einem engen Holzhäuschen hinter Chipstüten und wartet auf die spärliche Kundschaft. Der Eindruck täuscht aber, sagt Karg und lächelt: „Kandern ist mein zweitbestes Kino.“ Der 64-Jährige ist der Kinomogul im Markgräflerland. Gemeinsam mit seiner Frau und vierzehn Aushilfen zeigt er Filme in Müllheim, Kandern, Neuenburg und Buggingen. Bad Krozingen beliefert er auch, dort wird regelmäßig im Josefshaus Kino gemacht, eine Veranstaltung mit ganz eigenem Charme, denn der surrende Projektor steht mitten im Raum. 200 Kilometer verfährt Karg wöchentlich zwischen seinen Kinos.


Schön alt und kultig: Das Kanderner Kino ist für seine Atmosphäre berühmt. Zum Jahresende zieht sich Jochen Karg aus dem Geschäft zurück, dann stehen auch die "Blumen- Lichtspiele" zur Disposition.

FOTOS: JENS SCHMITZ


Heute wird es bei den fünf Zuschauern bleiben, Karg verlässt das Gebäude. Der Vorführraum ist nur über eine windige Stiege an der Außenwand zu erreichen. Zwar hat Karg auch in Kandern inzwischen eine moderne Tonanlage installiert, aber der Raum wird von anderem dominiert: Von den riesigen Apparaten der Firma Klangfilm, die das europäische Tongeschäft beherrschten, als von Dolby noch niemand gehört hatte. Von zwei unverwüstlichen Bauer-Projektoren aus dem Jahr 1957, die Karg pflegt wie einen alten Mercedes: „Da müssen Sie Ölwechsel machen wie bei der Autoinspektion.“ Über den alten Maschinen ragen Rohre aus der rußigen Decke, Abgasleitungen aus der Zeit, als das Licht noch von Bogenlampen mit Kohlestiften erzeugt wurde. Seit 1980 lassen auch in Kandern moderne Xenonbirnen die Bilder leuchten. Das Licht ist konstanter, aber Karg fand das alte farbechter. Zum Glück muss man in einem Umfeld wie Kandern nicht jede Mode mitmachen: „Popcorn gibt’s bei mir grundsätzlich nicht“, erklärt Karg, obwohl mit dem luftigen Mais 300 bis 500 Prozent Gewinn zu machen wäre. „Unser schöner neuer Teppichboden – es reicht, wenn Colaflecken drin sind!“


Unverwüstlich: Im Kanderner Vorführraum leistet Technik aus den 50er- Jahren treue Dienste.


Anders als Winterhalder und Schuler ist Karg nicht auf Umwegen zum Kino gekommen. Seine Eltern zeigten seit 1936 Filme, Vater Werner war Vorführer in der Freiburger Harmonie, bevor er sich selbstständig machte. Nach einer Ausbildung als Elektriker und Kaufmann trat Jochen Karg 1973 ins Familienunternehmen ein, 1984 übernahm er es ganz. Heute kann er auf seine eigene Ära zurück blicken. Sie endet demnächst: Zum Jahresende hat Karg den Pachtvertrag mit der Stadt Kandern gekündigt. 2007 soll Sohn Michael, 38, den Betrieb übernehmen. Der gelernte Kaufmann möchte die aufwändigen Fahrten nach Kandern sparen, bietet der Stadt aber an, sie weiterhin mit Filmen zu versorgen, wenn die Kommune eigenes Personal finanziert.

„Ich möchte das Kino sehr gerne halten“, sagt Bürgermeister Bernhard Winterhalter, „aber wir müssen es uns auch leisten können.“ Das Haus ist dringend sanierungsbedürftig. Nächste Woche soll es ein Gespräch zwischen Familie Karg und der Stadt geben, parallel dazu sondiert Winterhalter bei den Vereinen Möglichkeiten, das Kino flexibler zu nutzen. Die Neustädter müssen sich solche Gedanken auf absehbare Zeit nicht machen. Leopold Winterhalder schmunzelt: „Bis jetzt wollen alle Kinder das Kino übernehmen. Schau’n wir mal.“


Aus: Badische Zeitung, 11.11.2006. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung durch die Badische Zeitung. Frau Herrmann herzlichen Dank für die Übersendung der Dateien. Ohne Manfred Bühler hätte ich nie von diesem Artikel erfahren. Vielen Dank !

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