Seit es das Alhambra gibt, existiert auch die wegen ihres Durchhaltevermögens schon anachronistisch anmutende Filmgruppe im Alhambra. Vielleicht sind wir Spätzünder, aber uns ist erst jetzt der lange Atem kurz geworden, selbst unsere Dickfelligkeit ist angekratzt. Konkret: so kann's nicht weitergehen!
Nachdem wir vor 4 Jahren mit unserem unvergessenen Filmdebüt "Limonaden Joe" an die damals noch zahlenmäßig grosse, noch neugierige und wohlwollende Alhambra Öffentlichkeit getreten sind, haben wir 4 Jahre lang unverzagt und regelmäßig mit zwei Filmvorführungen die Woche, bei gleicher Dienstleistung und nur DM 1.­- Preiserhöhung, die Gelegenheit genutzt, Erfahrungen mit Filmarbeit in einem selbstverwalteten Kommunikationszentrum zu sammeln, oft genug Erfahrungen, die enttäuschend waren.
Wir haben uns zu einer "schöpferischen Pause" entschlossen, nachdem uns die ganze Filmarbeit im Laufe der letzten Saison, bei ausbleibendem Publikum, immer mehr wie eine reine Dienstleistung vorkam, die einfach keinen Spaß mehr machte. Wir sind an einem Punkt, wo für uns eine Rekapitulation unserer Arbeit in der Gruppe und im Alhambra ansteht, um einen neuen Anfang zu finden. Dieser Artikel soll unsere Überlegungen zu unserer eigenen Geschichte und jetzigen Situation öffentlich machen, da wir hoffen, durch eine über unsere Gruppe hinausgehende Diskussion (u.a. mit dem Filmpublikum des Alhambra) neue Ansätze für die Weiterarbeit zu finden.
Die eingetretene Situation ist durch mehrere Probleme zu erklären, wobei die Publikumsfrage sowie unser Verhältnis zum Publikum den roten Faden bilden.
Zunächst mal der wichtigste Punkt  unser Zusammenhang zum Alhambra.
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Verhältnis der Filmgruppe zum Alhambra
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Das Alhambra ist die Voraussetzung für die Filmgruppe. Sie ist gegründet worden in inhaltlichem Zusammenhang mit dem Alhambra, wobei Ansätze des "Werkstattfilms" aufgegriffen wurden,sie findet ihre organisatorische Voraussetzung im Alhambra und ein Großteil des Publikums der Filmgruppe rekrutiert sich aus dem, was man landauf, landab als Alham­branasen bezeichnet.
Kino zu machen bedeutet für uns, ohne kommerzielles Interesse, also so billig wie möglich, Filme zu zeigen (damals gab es das KoKi und das Casablanca noch nicht), die man in OL nie oder nur nach Jahren zu sehen bekam. Wir haben unsere Arbeit in diesem Sinne als politische, als Beitrag zu einer Gegenöffentlichkeit (war damals in aller Munde!) begriffen und der Ort für 'andere', politische Kultur war eben das Alhambra. Unsere Idee war, als offene Gruppe, für jeden zugänglich, selbstorganisiert und vor allem in ständigem Austausch mit anderen politischen Gruppen, und damit eben auch mit unserem Publikum, ein gemeinsames Filmprogramm mit thematisch unterschiedlichen Schwerpunkten (Filmreihen) auf die Beine zu stellen, was auch in Einzelfällen mit der BI, mit der Schwulengruppe und der Frauengruppe des Alhambra ganz gut geklappt hat. Sehgewohnheiten wollten wir verändern, Möglichkeiten schaffen, sich Filme nicht nur 'reinzuziehen', sondern sich mit Inhalt und Medium kritisch auseinanderzusetzen
Trotzdem ist für uns das Alhambra häufig nur ein ungeliebter Treffpunkt. Ein Grund sind sicher die unerfreulichen Begleitumstände der Filmvorführungen, der aussichtslose Kampf gegen Dreck, Gestank und Kälte im AZ. Wichtiger ist, daß die Gruppenmitglieder an den übrigen Aktivitäten des Zentrums nur wenig beteiligt sind. Aber maximal drei Termine in der Woche für die Filmgruppe lassen für weiteres Engagement nicht mehr viel Raum. DIe anfänglich regelmäßige Beteiligung an der VV (Vollversammlung) schlief ein, als diese ihre geplante Aufgabe, Gruppenplenum zu sein, nach und nach verlor und sich zu einer eigenen Gruppe entwickelte.
Eine Entscheidung, an der VV teilzunehmen, bedeutete also,  überspitzt gesagt  den Eintritt in eine neue Gruppe und nicht die notwendige Ergänzung und Rückkopplung für die eigene Gruppe. Im Zusammenhang mit der Filmgruppe gehen Mitglieder nur noch zur VV, wenn etwas zu organisieren ist (Lange Filmnacht). Das bedeutet aber, daß sich das Alhambra für uns auf die Bereitstellung von Räumen reduziert. So werden Dreck, Gestank und Kälte zu Punkten verstärkten Ärgers, ohne daß man sie aufgrund zusätzlicher Einbindungen ins Alhambra relativieren könnte und ohne daß man wegen dieser Einbindung den Kampf gegen die Mißstände aufnimmt. Die mangelnde Beteiligung der Filmgruppe an anderen Aktivitäten des AZ mag andererseits ein Grund sein, warum wir auch gerade im Bereich des politischen Films den Kontakt zu unseren primären Adressaten verloren haben.
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Entwicklung des Alhambra
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Unsere Situation ist nicht trennbar von der Situation des Alhambra, nicht trennbar von der Entwicklung der Kinosituation in OL, nicht trennbar von politischen (Mode ) trends (Filme zur Arbeiterbewegung locken keinen Freak hinterm Ofen hervor), alles dies Faktoren, die auf Zusammensetzung und zahlenmäßige Größe unseres Publikums wesentlichen Einfluß haben und damit auch  - ohne Publikum kein Kino - unsere Arbeit bestimmen.
Es ist nicht zu leugnen, wird zumindest, vergleicht man einen Alhambra  Programmzettel mit einem von vor drei oder vier Jahren, an der Oberfläche deutlich, daß mit dem Alhambra Veränderungen vor sich gegangen sind. Diese Veränderungen sind sicher nicht nur in der Struktur des Alhambra selbst zu suchen, sondern auch in der veränderten Situation der Linken in der BRD in den letzten vier/fünf Jahren. Das Alhambra wurde damals von vielen Leuten als der Ort politischer Auseinandersetzung auch und gerade ausserhalb der Uni gesehen und auch genutzt. Und auch heute ist das Alhambra unbestritten das Zentrum der sogenannten Gegenkultur in OL. Aber die Formen der politischen Auseinandersetzung haben auch gewandelt. Die politischen Gruppen der 70er Jahre sind in der Versenkung verschwunden. Theoretische Arbeitskreise werden abgelehnt, da uns Theorie angeblich sowieso nicht weiterhilft. Langfristig arbeitende Gruppen werden zugunsten kurzfristiger, aktionsbezogener Zusammenschlüsse aufgegeben. Und die vielzitierte Einordnung in den 'politischen Gesamtzusammenhang'? Offenbar sind wir uns heute einiger als vor einigen Jahren, denn diese Diskussionen, die aktuelle politische Ereignisse und Aktionen in einen politischen Zusammenhang setzen, sind im Alhambra selten geworden.
Auf dem monatlichen Alhambra Programm stehen heute neben unseren Filmen nur noch Musikveranstaltungen und Disco und auch das Publikum dieser Veranstaltungen ist im Schnitt zahlenmäßig kleiner und jünger geworden.(Über all diese Einschätzungen ließe sich dennoch trefflich streiten, der Tipper!) Ob sich hier auch Interessen durchgesetzt haben, weil andere sich zurückgezogen, oder ob andere sich zurückgezogen haben, weil nicht lhre Interessen durchsetzbar waren, läßt sich hier nur spekulieren. Spitzer gefragt: Ist das Alhambra einfach nicht mehr der Ort (man wird älter und für die Reize einer gepflegten Umgebung empfänglich) oder braucht OL keinen politischen Ort mehr, weil die Auseinandersetzungen sowieso nur noch an der gemeinsamen 'Bierfront' ertränkt werden? Jedenfalls merkt man dem Alhambra die Verlassenheit an, und der Trend, nicht mehr ins Alhambra zu gehen, der im übrigen bei spektakulären Ereignissen kurzfristig unterbrochen wird, drückt auch unserer Filmarbeit die Luft ab.
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Kinoszene in OL
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Daß wir eine zeitlang eine durchaus ernstzunehmende Alternative zum kommerziellen Urhahn- Einheitsbrei waren, haben uns nicht nur unsere Zuschauerzahlen gezeigt, sondern auch die Tatsache, daß Herr Urhahn uns wo es nur ging ins Programm gepfuscht hat. Kino ist ein Geschäft wie jedes andere und die Verleihe tragen ihre Ware (Filme) dorthin zu Markte, wo sie am meisten einbringen und das sind die sogenannten kommerziellen Abspielstellen, die dann gegenüber den Clubkinos, wie wir eins sind, mit allerlei Vorrechten (z.B. langfristige Option auf Filme, um das Abspielen durch andere Einrichtungen zu unterbinden) ausgestattet sind.
So haben wir zunächst die Gründung des KoKi, das sich um Zuschüsse der Stadt bemühte, und später auch des kommerziellen Programmkinos Casablanca begrüßt, als Möglichkeit, die Kinolandschaft in OL gemeinsam zu bereichern. Aber mit der Blitzanalyse, jede der drei Einrichtungen habe sowieso ein anderes Publikum, man würde sich also nichts nehmen, schützt man sich vor der Mühe einer noch so vagen Zusammenarbeit. Das Casablanca, von Sachzwängen gedrängt, macht Zugeständnisse an das sich vorwiegend aus dem Unimilieu rekrutierende Publikum, das aber wohl eher auf Unterhaltung setzt und cineastischen Leckerbissen gegenüber eine unerwartete Ignoranz an den Tag legen kann, das KoKi hält (hielt, d.T.) erlesene Bonbons für ein in OL ohnehin (noch) nicht vorhandenes größeres Publikum an Filmliebhabern und Cineasten bereit und das Alhambra ist wohl für die ganz Unverdrossenen da, die im Winter mit vor Kälte schlotternden Gliedern in verdreckten Sofas sich dem Genuß einer in der Vorführqualität nur in einigen Fällen vom Casablanca übertroffenen Vorstellungen hingeben. Wer sind nun diese Unverdrossenen kurz was sind die charakteristischen Merkmale dieses Publikums, das zu uns ins Alhambra kommt, um einen Film zu sehen, oder viel mehr, wie es die jüngste Zeit lehrt, das immer seltener zu uns kommt?
Viele Stunden haben wir mit der Analyse unseres Publikums zugebracht, viele Versuche, Kontakt zu bekommen, Resonanz zu erfahren. Die einzige Resonanz, die wir kennengelernt haben, ist in klingender Münze auszumachen und stellt auch für uns, obwohl wir nicht von dieser Arbeit leben, einen Sachzwang dar, denn abgesehen davon, daß es keinen Spaß macht, einen Film vor fünf Leuten zu zeigen, müssen die Filme, die im Schnitt 150 Mark pro Abend kosten, auch bezahlt werden.
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Unsere Gruppe und unser Verhältnis zum Film
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Die Begründung der Tatsache, daß die Filmgruppe sich zur Zeit in einer Denkpause befindet, wäre unvollständig, würde nicht auch die Gruppe an sich in die Überlegungen einbezogen. Eine notwendige kritische Überprüfung muß dabei drei Punkte berücksichtigen: das Verhältnis innerhalb der Gruppe, das Verhältnis der Gruppe zum Film und das Verhältnis zwischen der Gruppe und dem Publikum der Filme.
Daß die Filmgruppe zu denjenigen Gruppen gehört, die am längsten im AZ existieren, ist sicher auch auf den engen Gruppenkontakt zurückzuführen. Die von persönlicher Sympathie getragene Zusammenarbeit ist ein wichtiges Merkmal der Gruppe, feste Rollen, feste Spielregeln, feste Verhaltensweisen, feste Macken werden in Solidarität ertragen, gehegt, gepflegt. Das Einverständnis hilft über natürlich auch auftretende Streitereien, Enttäuschungen und Frustrationen hinweg. Aber diese für die Teilhaber angenehme Struktur hat auch ihre Kehrseite: sie wirkt auf Neuankömmlinge verunsichernd, vielleicht auch abweisend. Die Filmgruppe zeigt hier das Phänomen, das auch für das Alhambra allgemein benannt werden kann, daß denjenigen, die mitarbeiten wollen, eine hohe Frustrationstoleranz abverlangt wird. Die weiter oben kurz beschriebenen Verhaltensweisen charakterisieren ein In Group Verhalten, das für viele potentielle neue Mitglieder abschreckend wirken kann. Nicht von ungefähr sind neue Mitglieder, die langfristig in der Gruppe mitgearbeitet haben oder noch heute mitarbeiten, meistens über persönliche Kontakte in die Gruppe einbezogen worden. Es wurde ein Bemühen um Gleichberechtigung an den Tag gelegt, aber nach kürzester Frist war klar, es bedarf großer Phantasie und noch größeren Durchhaltewillens, um neues Mitglied in der Filmgruppe zu werden.
Aber nicht nur der mangelnde personelle Austausch trägt die Schuld an der mangelnden Vorstellung über die weitere inhaltliche Gestaltung des Programms. Es tritt hier zutage das Problem, das die Filmgruppe zeit ihrer Existenz getraulich begleitet, nämlich die Unfähigkeit, sich längerfristig intensiv mit dem Medium Film auseinanderzusetzen. Der Wissensstand zum Thema 'Film' ist in der Gruppe sehr unterschiedlich. Es gab und gibt - diese Spezies ist allerdings im Aussterben begriffen- Sachverständige in der Gruppe, zuständig für ästhetische und historische Fragen des Mediums, Cineasten geheißen. Dieses Problem des unterschiedlichen Wissensstandes zum Thema war bekannt, weshalb einer inhaltlichen Arbeit zum Medium breiter Raum gegeben werden sollte. Gemeinsame Analyse von Filmen, Lektüre theoretischer Texte, Rezeption medienanalytischer Sendungen im Fernsehen waren Ansatzpunkte, den oben skizzierten unterschiedlichen Wissensstand zu nivellieren. Die Strategien der Vermeidung waren jedoch vielfältig und es ist müßig, sie aufzuzählen. Das Fazit ist weiter oben charakterisiert worden.
Die Folgen dieses Tatbestandes waren allerdings fatal. Auswahl und Zusammenstellung von Filmreihen wurden einzelnen Mitgliedern überlassen. Mangels Kenntnissen und Kriterien fand keine Diskussion statt, Abänderungen erfolgten fast ausschließlich aus verleihtechnischen Gründen. Damit entfielen aber auch zusätzliche Impulse, über die eine detaillierte Auseinandersetzung mit Filmen  soweit Material greifbar war  die inhaltliche Qualifikation voranzutreiben. Darüberhinaus erschwerte der Mangel an inhaltlicher Arbeit neuen Mitgliedern den Zugang zur Gruppe. Für Neulinge wäre der Einstieg in die inhaltliche Arbeit eine Möglichkeit gewesen, sich nach und nach in die Gruppe zu finden. Solange dieser Einfindungsprozeß noch nicht abgeschlossen war, konnte die inhaltliche Arbeit das Verbindende sein, was ein Bleiben in der Gruppe lohnend machte.
Auch unser Verhältnis zum Publikum wurde durch die fehlende inhaltliche Arbeit beeinträchtigt. War es Ziel der Gruppe von Anfang an gewesen, das Publikum möglichst weitgehend an der Auseinandersetzung mit dem Medium teilhaben zu lassen, so setzte dieses allerdings voraus, den Konsumierenden Anregungen, Möglichkeiten, Richtungen und Hinweise zu geben; ohne ausgiebige Kenntnis der Materie nicht zu leisten. Dadurch wäre es auch leichter gefallen, die nötige Phantasie zu mobilisieren, einen häufig nur auf Konsum ausgerichteten Publikum überhaupt einen Anstoß zu intensiver Beschäftigung mit Filmen zu geben. Es muß aber auch gesagt werden, daß das Publikum den Versuchen der Filmgruppe zur Beteiligung und zur Diskussion sehr reserviert gegenüberstand, so daß von daher Resignation und mangelnde Anreiz zu inhaltlicher Arbeit verständlich sind. Wie es weitergeht......
............ist uns zur Zeit noch etwas unklar !
aus: NORDWIND, Nr. 51, November 1982, S. 36- 38