Abdruck aus:

Optische Erfindungen von der Lochkamera zum Wanderkino
mit Beiträgen zur Kinogeschichte in Schwaben.

Schriftenreihe der Museen des Bezirks Schwaben,
herausgegeben von Hans Frei, Band 11.

© Museumsdirektion des Bezirkes Schwaben, Gessertshausen 1995.
Zitate bitte mit genauer Quellenangabe "Forschungsstelle Mediengeschichte im internet, Universität Oldenburg" .Übernahme von Grafiken nur nach vorheriger Absprache

Wir danken der Museumsdirektion des Bezirkes Schwaben für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung der Beiträge.

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Gerhard Böck

,,Sein Leopold" war der erste Film
Das Kino in Ichenhausen 1912- 1986
 

Beginn in der Günzburger Straße

Wie der Volksfreund, die damalige Ichenhausener Lokalzeitung, verrät, gehen die Anfänge des Kinos in Ichenhausen auf das Ende des Jahres 1912 zurück. Das Blatt veröffentlichte am 21. Dezember folgenden Anzeigentext: ,,Zentral-Theater, Ichenhausen, Günzburger Str. 130, Eröffnung in kurzer Zeit, mit Großstadtprogramm, Näheres durch die Anschlagplakate. Die Direktion".

Eine Woche später stellte eine weitere Anzeige das erste Programm vor. An drei aufeinanderfolgenden Tagen, von Freitag bis Sonntag, jeweils von 16-23 Uhr, 19-23 Uhr und 15-23 Uhr sollte an diesem Spielort der Schlager Sein Leopold vorgeführt werden. Es handelte sich dabei um einen ,,Kilometerfilm" in zwei Akten von jeweils einer halben Stunde Dauer. Ferner versprach die Anzeige noch ,,Dramas, humoristische und Natur-Aufnahmen". Zum ,,gütigen Besuch" lud eine namentlich nicht bekannte Direktion. Bei dieser Anzeige fiel, im Gegensatz zur Vorankündigung, wo von Zentral-Theater die Rede war, nun die Bezeichnung Zentral-Lichtspiel-Theater, womit gut sichtbar der Einsatz des neuen Mediums unterstrichen wurde.

Wer aber betrieb nun dieses Kino und wo genau befand es sich? Die Aufdeckung der anonymen Direktion muß im Augenblick weiterer Forschung harren. Aber es gibt doch Anhaltspunkte zur Lokalisierung des Aufführungsortes: Um 1900 war vom Gastwirt und Konditormeister Karl Abt, dem Besitzer des Gasthofes Weißes Roß, eine noble Dependence in der Günzburger Straße errichtet worden. Es handelte sich um ein Hotel mit Konditorladen und vornehmem Gastronomiebetrieb, der in überörtlich gutem Rufe stand. Es durfte zum damaligen Zeitpunkt der einzige Ort in der Günzburger Straße gewesen sein, wo man Vorführungen besonderer Art hatte erwarten können. Das Lokal hieß Kronenkeller und lag östlich und etwas außerhalb des Stadtkerns. In seinem unterirdischen Gewölbekeller lagerte das Bier der Kronenbrauerei, die in der Annastraße angesiedelt war. Ob aber im Kronenkeller damals tatsächlich die ersten Kinovorführungen stattfanden, läßt sich mit Sicherheit nicht mehr sagen. Immerhin deutet ein Grundbuchauszug darauf hin, daß das Gebäude des Kronenkellers die einstige Hausnummer 130 in der Günzburger Straße trug.1

Mit herkömmlichem Theater war Ichenhausen um diese Zeit bereits bestens versorgt. Es gab Bühnenauftritte im Saal des Hotels zum Weißen Roß, das damals so etwas wie das Kulturzentrum Ichenhausens gewesen sein dürfte. Neben Gastspielen des Esslinger Stadttheaters im Mai und Juni 1912, mehreren Saisonauftritten einer Gruppe unter der Direktion von E. Baumann im August, einer ,,Elite-Vorstellung" von Edgar Blanks Grand-Theater im Oktober2 und rührseligen Volksstücken des katholischen Gesellenvereins im November, bot der Rössle-Saal auch ein Vortragsforum für Weltreisende und Dichter, wie z. B. für Ludwig Ganghofer am 7. Dezember 1912.3

Die Dutzendkarte für 3 Mark 50

Am 4. Januar 1913 erschien im redaktionellen Teil des Volksfreund ein Artikel zum neuen Ichenhauser Kino. Unter der Rubrik ,,Verschiedenes" wurde darauf hingewiesen, daß am folgenden ,,Freitag, Samstag und Sonntag wiederum ein neu auserwähltes Programm" zu sehen sei. Unter anderem käme die Fortsetzung des großen Romans Der Eid des Stefan Huller in vier Akten zur Vorführung was allein eineinhalb Stunden in Anspruch nähme. Feiner könne man am Freitag die Große Parole-Ausgabe Sr. M. Kaiser Wilhelm 11. vom 1. Januar in Berlin sehen. Diese Aufnahme, so die Zeitungsmeldung, sei mit allerhöchster Genehmigung erfolgt; der Direktion seien durch die Anschaffung des genannten Films hohe Kosten erwachsen,


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weshalb ihr ein guter Besuch zu wünschen sei. Die Dutzendkarten waren sehr zu empfehlen und seien zum Preise von 3,50 für den 3. Platz, 4,50 für den 2. Platz und 6 Mark für den 1. Platz an der ,,Kassa" zu haben. Soviel redaktionelle Hilfestellung verpflichtete natürlich dazu, zusätzlich ein Inserat im Volksfreund zu bestellen, welches dann auf der letzten Seite der achtseitigen Ausgabe zu lesen war. Wiederum war nur mit ,,Die Direktion" unterzeichnet. Am 25. Januar wurde dann für das Wochenende als Hauptschlager Die große Zirkusattraktion angeboten. Der Inseratstext kennzeichnet den Streifen als nordischen Kunstfilm in drei Akten von insgesamt eineinviertel Stunden Spieldauer. Die ,,ersten Kopenhagener Künstler" hieß es weiter, wurden die ,,größte Sensation auf dem Gebiet der Kinematographie" zeigen. Daneben wurde ein unterhaltsames Faschingsprogramm in Aussicht gestellt und von der Direktion freundlichst zu einem ,,gütigen Besuch" empfohlen.4 Weitere Kinoaktivitäten wurden in einem Inserat in der Wochenendausgabe des Volksfreundes vom 8. Februar 1913 bekanntgegeben. Neben einem ,,Pathe Journal" mit den ,,Neuesten Weltereignissen" wurden vier weitere Filme angeboten, und am Sonntag fand außerdem von drei bis fünf Uhr eine Kindervorstellung statt. Nach diesem ersten Höhepunkt der Kinematographie in Ichenhausen trat eine Pause ein.

Bereits wenige Tage später, am 11. Mai 1913, gastierte erneut das Esslinger Stadttheater im Saal des Weißen Roßes. Weitere Theateraufführungen folgten. Doch nach Anzeigen des Lichtspieltheaters sucht man zunächst vergebens.

Auffallend war in diesen Monaten die zuerst nachlassende und später wieder zunehmende Häufigkeit von Theatervorstellungen. Offensichtlich folgte auf die eine Attraktion sofort die andere. Es scheint sich bereits zu diesem Zeitpunkt herauszukristallisieren, daß in Ichenhausen der Unterhaltungsmarkt nur einer Unternehmung Entfaltung bot: Entweder Theater oder Kino -ein Nebeneinander schien nicht möglich.

Dölles Wanderkino

Am 9. Juli 1913 stach eine Anzeige ins Auge: ,,D. Dölles Welt-Kinematograph gibt heute Dienstag neues Schlagerprogramm, u.a. der neue Monopolfilm ,Maskierte Liebe' in 3 Akten, sowie ,Krieg der Prärie', ein spannendes Indianerdrama. Wir machen darauf aufmerksam, daß die Vorstellungen präzis um halb 8 Uhr und 9 Uhr beginnen, hochachtend, Die Direktion".

Wo aber diese Vorstellung stattfand, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Damals wurde die Spielstätte offenbar als bekannt vorausgesetzt, denn eine Ortsangabe ist nicht vermerkt und die vorhergehenden Inserate mit Angabe der Günzburger Straße 130 sind nicht zwangsläufig mit Dölle in Verbindung zu bringen.

Vor dem Auftritt des Dölle'schen Wanderkinos scheint der erste stationäre Kinobetrieb in Ichenhausen in der Günzburger Str. 130 nur kurze Zeit bestanden und trotz aller Anstrengungen, ein attraktives Programm zu bieten, nicht genügend Publikumsakzeptanz gefunden zu haben. Wie aus Berichten aus den Jahren 1913 und 1914 an das Bezirksamt Günzburg hervorgeht, war der Betrieb so unrentabel, daß er bereits nach etwa einem halben Jahr wieder eingestellt werden mußte. Etwa alle zwei Jahre gab der Wanderkinobesitzer Dölle aus Nürnberg einige Vorführungen in Ichenhausen. Er mußte dazu dem Stadtmagistrat jeweils eine von der Polizeidirektion München ausgestellte Prüfkarte über seine Lichtspielstreifen vorlegen.5 Anscheinend haben sich jedoch auch diese Versuche nicht als dauerhaft erwiesen, denn am 14. Februar 1915 meldete Gendarmerie-Wachtmeister Auer an das Bezirksamt Günzburg, daß auch keine anderen derartigen Vorstellungen stattfanden.6


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Dominanz des Bühnentheaters

Die kinolose Zeit dauerte immerhin vier Jahre lang bis nach dem Ersten Weltkrieg.

Eine Zeit hoher Arbeitslosigkeit folgte, aber für manche auch die Chance neuer wirtschaftlicher Unternehmungen. Jedermann war auf der Suche nach geeigneten Nischen. So füllte zuerst das Bühnentheater wieder die Ichenhauser Unterhaltungslücke. Ein Original- Wiener- Volkstheater- Ensemble gab am 21. Februar 1919 im Weißen Roß sein Debüt mit dem Schwank Herrschaftlicher Diener gesucht. Weitere Auftritte folgten. Ab April 1919 nahm die Zahl der Auftritte mit ständig wechselnden Programmen auffällig zu. Ab dem 29. August 1919 trat dann die Wiener Operetten- Gesellschaft in Ichenhausen in Erscheinung, die von August bis Oktober die Spielfolge weiter ausdehnte. Zum Teil mit nur zwei Tagen Unterbrechung wurde versucht, immer neue Stücke zum Besten zu geben.

Wiedergeburt des Kinos

Inzwischen hatten sich die Gebrüder Hildebrand angeschickt, die Unterhaltungslust der Ichenhauser wieder mit Hilfe eines Kinematographen zu befriedigen. Mitte des Jahres 1919 richteten sie ein Gesuch an den Magistrat der Stadt Ichenhausen, ihnen die Errichtung eines Kinos zu genehmigen. In der Sitzung am 7. Juli 1919 beschloß der Stadtmagistrat, das Gesuch ,,in stets widerruflicher Weise" zu genehmigen. Gleichzeitig wurde ein Gesuch des Karl Aigner aus Behlingen in gleicher Sache abgelehnt.7

Am Donnerstag, dem 20. Oktober 1919, traten die Gebrüder Hildebrand mit einer Anzeige im Volksfreund an die Öffentlichkeit. Allerdings warben sie nicht etwa für das Kino, sondern für ihre Dienste als ,,Bildnisphotographen" und für ihre ,,Architektur-, Industrie- u. Landschafts-Aufnahmen". Als Ort der Unternehmung wurde die ,,Hubergasse, nächst dem Postamt" angegeben.

Start der Lichtspiele Ichenhausen

Der Paukenschlag kam mit einer Anzeige der Gebrüder Hildebrand im Volksfreund. Die Eröffnung der Lichtspiele Ichenhausen wurden für Freitag, den 5. Dezember 1919, im ,,grossen Rössle-Saal" bekanntgegeben. Die Brüder kündigten ein Drama in vier Akten (= 4 Filmrollen) von Toni Attenberger, betitelt Die Stadt ohne Lachen an. Daran sollte sich das Lustspiel Das Mädchen aus Japan mit Lya Ley in der Hauptrolle anschließen. Die Kasse sollte bereits um 19 Uhr geöffnet sein und die Vorführung sollte um 20 Uhr beginnen. Der Vorverkauf wurde bis 18 Uhr im Friseurgeschäft Hildebrand in der Hubergasse abgewickelt. Personen unter 17 Jahren war der Zutritt polizeilich verboten. Die Preise entsprachen etwa dem Niveau der Bühnentheateraufführungen, der 1. Platz kostete 2 Mark.8 Was die Wiener Operetten-Gesellschaft aufgegeben

Handzettel
,,Wilhelm Tell",
Ichenhausen um 1935


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hatte, versuchte nun der katholische Gesellenverein in Ichenhausen fortzuführen. Er konkurrierte mit dem Kino nicht nur um die Kundschaft, sondern offenbar auch um die Aufführungsstätte. So kündigte er in einem Inserat im Volksfreund gleich neben der Kino-Anzeige der Gebrüder Hildebrand die Aufführung von Schillers Wilhelm Tell für den 7. und 8. Dezember 1919 im Saale des Gasthofes zum Weißen Roß an. Die Hildebrand-Brüder gestalteten ihre Anzeigen künftig aufwendiger. Die Titelzeile Lichtspiele Ichenhausen wurde von zwei rautenformigen Logos und einem Kästchen eingerahmt. Auf die Angabe von Namen und Ort konnte bereits selbstbewußt verzichtet werden.

Hildebrands Kinoprogramm

Aufführungen der nächsten Zeit fanden am 21. Dezember 1919 sowie am 2., 4., 16., 18., 23. und 25. Januar sowie am 1., 6. und 8. Februar 1920 statt. Gezeigt wurden die Streifen Das unheimliche Schloß, Klaus und sein Weinkeller, der Industriefilm Eisen und Stahl, der Trickfilm Joko der Affe, das Drama Wenn das Leben ruft mit Hanny Weise in der Hauptrolle, Peppi als Tugendwächter mit dem damals bereits verstorbenen Pepi Ludel, Naturaufnahmen, Jettchen Gebert nach einem Roman von Georg Hermann, Der Ersatzmann, Burgen der Rheinpfalz, das Drama Arme kleine Helga mit Cilly Kohlberg in der Hauptrolle, Seine beiden glücklichsten Tage, die Tragödie eines Pierrots Der tanzende Tor, Die Lieblingsflamme des Maharadscha, der Kriminalfilm Desperatos sowie die Filmposse Der weiße Fuchs.

Kino und Jugend

Da fast alle Filme für Jugendliche unter 17 Jahren verboten waren, fand die ,,grosse Jugend-Vorstellung" am 1. Februar 1920 mit 6-10 teils farbigen (kolorierten) Filmen für Eintrittspreise zwischen 50 Pfennig für den 2. Platz und 1,50 Mark für den Balkon sicherlich Anklang.9

Der Schrittmacher der Hildebrand'schen Kino-Unternehmung dürfte Georg Hildebrand gewesen sein. Ein Bericht des Gendarmerie-Wachtmeisters Anton Grimm an das Bezirksamt Günzburg vom 3. 12. 1920 bezeichnete ihn als Lichtspieltheaterbesitzer. Die Kinovorführungen gaben Grimm zufolge keinen Anlaß für obrigkeitliches Einschreiben, denn Hildebrand war ,,nach den gemachten Wahrnehmungen selbst bestrebt, den Eintritt von Jugendlichen in die Vorführungen zu verhindern". Grimm bekräftigte dies mit der Feststellung, daß Georg Hildebrand die Kasse selbst bediene und bekannte Jugendliche regelmäßig abweise, und abschließend beteuerte der Beamte: ,,sämtliche Vorführungen werden von der hiesigen Polizeimannschaft überwacht u. Jugendliche ausgewiesen".10

Der Umzug in die Hubergasse

Einem Schreiben des Bezirksbaumeisters Schickel vom 12. Mai 1922 an das Bezirksamt Günzburg kann entnommen werden, daß sich das Kino noch immer im Rössle- Saal befand. Dies war der große Saal im 1. Stock des Gasthofes Weißes Roß, und darin waren laut Schickel weder die Einrichtungen noch die Ausgänge zu beanstanden.11 Dort dürfte das Kino bis zum Umzug in die Hubergasse, die heutige Herzog-Leopold-Straße, im Jahre 1928 geblieben sein.12

Das Haus in der Hubergasse gehörte zunächst Georg Hildebrand, der auch Friseurmeister, approbierter Bader und amtlicher Desinfaktor war. Im Laufe der 1920er Jahre kam das Haus dann in den Besitz des Steuerberaters und späteren 2. Bürgermeisters Karl Hildebrand, der es daraufhin zum Kino umbaute. Als das Filmtheater im Jahr 1928 eröffnet wurde, zeigte man noch Stummfilme, die von Adalbert Nitzlader auf der Geige und von Resi Nitzlader am Klavier begleitet wurden.13


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Amtliche Überwachung und Kontrolle

Wie ernst die Überwachung des Lichtspielgewerbes von der Ichenhauser Gendarmerie-Station genommen wurde, zeigt eine Meldung von Hauptwachtmeister Rettinger vom 6. Oktober 1930 an das Bezirksamt Günzburg. Darin setzte der Beamte seine übergeordnete Behörde in Kenntnis, daß ihm der Lichtspieltheaterbesitzer Karl Hildebrand mitgeteilt habe, daß er den Bildstreifen Cyankali nicht zeigen werde. Hildebrand war bereits vom Verband der Lichtspieltheaterbesitzer vom Widerruf der Zulassung des Films verständigt worden.

Der Beginn des Tonfilms

An einen Film aus der Stummfilm- Ära erinnert sich noch der im Jahr 1920 geborene Josef Schick, nämlich an die Nibelungensage, die 1930 aufgeführt wurde. Als der Tonfilm aufkam, mußten neue Vorführapparate installiert werden.14 Vermutlich wurde das Kino um die gleiche Zeit umgebaut und von 40 auf 75 Plätze erweitert. Dies machte eine Verlängerung des Gebäudes um einen Meter zur Straße hin erforderlich.

Den Auftakt der Tonfilmära in Ichenhausen bildete 1931 der Schützenkönig mit Ferdl Weiß. Hildebrand arbeitete damals, wie viele andere Filmvorführer, mit nur einem Projektor. Das bedeutete, daß jeder Akt (= Filmrolle) einzeln eingelegt werden mußte und daß es während eines Filmes zu mehreren kleinen Pausen kam.15 Mit den nun 75 Sitzplätzen versuchte Hildebrand, seine hohen Investitionskosten wieder hereinzubekommen, was aber nach 1932 zunehmend schwieriger wurde.

Das Nazi-Kino ruiniert Hildebrand

Der nationalsozialistische Staat bemächtigte sich sofort des neuen Mediums. Propagandaminister Goebbels hatte die Möglichkeiten des Kinofilms für die Massenbeeinflußung erkannt und ließ in jedem Gau (Bezirk) Filmstellen einrichten, die mit mehreren transportablen Vorführanlagen und Lastwagen das Kinovergnügen dem deutschen

Volk auch in entlegenen Gegenden preiswert ermöglichen sollte. Die zuständige Organisation ,,Kraft durch Freude" war bei uns durch die Gau-Filmstelle Schwaben vertreten und verbreitete mit ihren Filmen nicht zuletzt auch antijüdische Hetzpropaganda.

Das Programm der Gau-Filmstelle folgte dem Muster: Wochenschau plus Spielfilm. Der Eintritt kostete generell 50 Pfennig. Hildebrand verlangte dagegen 30 Pfennig bis zu 1,10 Reichsmark und war damit insgesamt teurer. Eine Ichenhauser Tabelle für das Bayerische Statistische Jahrbuch von 1934 weist für das Jahr 1933 ein Lichtspieltheater mit 75 Plätzen aus.16 Demnach fanden im Zeitraum vom 1. Januar bis Ende Juli 1933 einmal wöchentlich Vorstellungen statt. Derzeit, so ein Vermerk, sei das Lichtspieltheater aber geschlossen. Weiter ist der Tabelle zu entnehmen, daß 1933 900 Eintrittskarten abgegeben wurden, und daß pro Vorstellung pauschal 3 Reichsmark, im ganzen 25 Reichsmark, städtische Vergnügungssteuer abgeführt werden mußten.17

Als die Gau-Filmstelle 1933 damit begann, alle 14 Tage mit ihrem Wanderkino im Rössle- Saal Vorführungen abzuhalten, mußte Hildebrand sein Kino schließen. 1935 wurde sogar das Haus verkauft.18

Die Vorführungen der Gau-Filmstelle selbst fanden bis Anfang Februar 1945 statt.19

Nachkriegsära und Kinoneubau in der Wiesgasse

Nach dem Kriege erwarb die aus Sachsen stammende Wirtin Martha Peukert das ehemals jüdische Wohn- und Geschäftshaus in der Wiesgasse 12. Da Ichenhausen in der Gastronomie jedoch keine Nische mehr zu bieten schien, kam sie auf die Idee, es mit einem Kino zu versuchen. Da der Vorbesitzer des Anwesens in der Wiesgasse Viehhändler gewesen war, befanden sich hinter dem Haus noch die Stallungen. Diese ließ Frau Peukert in den Jahren 1946 und 1947 zum Kinosaal mit 275 Plätzen umbauen. Das Kino verpachtete sie an den Lichtspielunternehmer Ottheinrich Hensel aus Ulm. Am 8. Oktober 1947 startete das Kino mit dem Eislauffilm Der weiße


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Traum in die Nachkriegsära. Hensel betrieb das Ichenhauser Lichtspieltheater bis etwa 1960. Dann übernahm es der Schwiegersohn von Frau Peukert, Herr Ludwig Gay, für ein knappes Jahr.20

Am Neujahrstag 1961 übernahm Josef Schick, der 1949 in München die Bildwurfmeister-Prüfung abgelegt hatte und von 1949 bis 1957 Filmvorführer bei Hensel gewesen war, als Pächter das Ichenhauser Kino. Den Auftakt bildete ein Wildwestfilm. Schick betrieb das Kino bis 1967 und plante dann die Übergabe an seine Tochter, die aber plötzlich erkrankte und 1967 starb. An Ostern 1967 gab Josef Schick mit Doktor Schiwago seine letzte Vorstellung. Es folgten weitere turbulente Jahre in der Geschichte des Ichenhauser Kinos, die schließlich am 28. Juni 1964 in einer rauschenden Filmnacht zu Ende ging.



Anmerkungen

1 Grundbuchabschrift des Amtsgerichts Günzburg. Diese gibt einen Eintrag des Jahres 1937 wieder, in dem ursprünglich die Registernummer (= Hausnummer) 130 vermerkt war, und nachträglich auf 139 abgeändert wurde. Nach Angaben von Frau Dr. Kohfink. 
2 Volksfreund, Nr. 84,19. Oktober 1912 
3 Volksfreund, Nr. 95, Dezember 1912 
4 Volksfreund, Nr. 8, Januar 1913 
5 Staatsarchiv Augsburg, BA Günzburg 8836 a; Schreiben des Magistrats Ichenhausen an das Bezirksamt Günzburg vom 26. 9.1913 und Bericht des Gendarmerie-Wachtmeisters Anton Auer an das Bezirksamt Günzburg vom 26. 3.1914 
6 Staatsarchiv Augsburg, BA Günzburg 8836 a 
7 Stadtarchiv Ichenhausen, Sitzungsprotokoll des Stadtmagistrates Ichenhausen vom 7. 7.1919 
8 Volksfreund, Nr. 130ff,1919 
9 Volksfreund, Nr.130 ff,1919 u. Nr.1 ff, 1920 
10 Staatsarchiv Augsburg, BA Günzburg 8836 a 
11 wie Anm.10 
12 Günzburger Zeitung vom 23.1.1981 
13 wie Anm.12 
14 Gespräch mit Josef Schick, Ichenhausen 
15 Mitteilung von Josef Schick und Anna Bock, Ichenhausen 
16 Dies belegt, daß es sich um Hildebrands Kino handelte . 
17 Staatsarchiv Augsburg, BA Günzburg 8836 a 
18 Mitteilung von Josef Schick 
19 Mitteilung von Josef Schick und Jürgen Gay, Ichenhausen 
20 wieAnm.19 

Der Verfasser bedankt sich für bereitwilligst gegebene Auskünfte und Hilfen bei Frau Dr. A. Kohfink und Anna Böck, sowie den Herren Josef Schick, Hans Mauerer, Jürgen Gay, Stadtarchiv Georg Schuler, Josef Jordan, Georg Abt, alle aus Ichenhausen. Für Quellenhinweise bedanke ich mich bei Frau Dr. E. Plößl, Schwäbisches Volkskundemuseum Oberschönenfeld .