Abdruck aus:

Optische Erfindungen von der Lochkamera zum Wanderkino
mit Beiträgen zur Kinogeschichte in Schwaben.

Schriftenreihe der Museen des Bezirks Schwaben,
herausgegeben von Hans Frei, Band 11.

© Museumsdirektion des Bezirkes Schwaben, Gessertshausen 1995.
Zitate bitte mit genauer Quellenangabe "Forschungsstelle Mediengeschichte im internet, Universität Oldenburg" .Übernahme von Grafiken nur nach vorheriger Absprache

Wir danken der Museumsdirektion des Bezirkes Schwaben für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung der Beiträge.

Zurück zur Seite "Inhalt"



-69-

Karl-Hermann Werner

Vom Lichtspieltheater zum Supermarkt

Kino in Schwabmünchen 1908-1967

Die erste Bekanntschaft mit den "lebenden Bildern" des  Kinematographen machten die Schwabmünchner im Zelt- und Wanderkino. Am 13. Mai 1908 veröffentlichte D. Dölle im Schwabmünchner Tagblatt eine Voranzeige und warb für sein "höchst interessantes Kinematographen-Theater", mit dem er vom 17. Mai 1908 an für drei Tage auf dem Schrannenplatz zu gastieren gedachte.1

Im September 1913 war Jean Linder's Kinematographen- Theater mit einem erstklassigen Großstadt- Programm auf dem Michaeli- Markt in Schwabmünchen zu bewundern.2 Auch wenn uns Vorführungen nur für diese beiden Jahre belegt sind, können wir davon ausgehen, daß Wander- und Jahrmarktkinos regelmäßig und wohl auch schon früher in Schwabmünchen gastierten, zumal Vorführungen der beiden Unternehmen in anderen Orten Schwabens schon um 1900 belegt sind.

Im Jahr 1913 eröffnete Ludwig Holzmann aus Langerringen im Anwesen des Maschinenhändlers Max Weis in der Hiltenfingerstraße (heute Mindelheimer Straße) das erste stationäre Kino von Schwabmünchen mit 150 Sitzplätzen. Der Marktmagistrat war jedoch von der Rentabilität dieses Kinos von Anfang an nicht überzeugt. Im Sitzungsprotokoll vom 23. Oktober 1912 finden wir den Eintrag: "Eine Zulassung des Kinotheaters wird zwar genehmigt, doch soll dem Gesuchsteller bedeutet werden, daß eine ständige Aufstellung dahier sich kaum rentieren wird."3 Im Schwabmünchner Tagblatt konnte Holzmann sein Unternehmen dennoch wie folgt ankündigen: "Einer sehr geehrten Einwohnerschaft von Schwabmünchen und Umgebung mache ich höfliche Anzeige, daß ich hier im Hause des Maschinenhändlers Herrn Max Weis, Hiltenfingerstraße, einen ständigen Kinematographen errichtet habe und empfehle mein Unternehmen zu regem Besuche. Werde bestrebt sein, nur gute, neue, sittenreine Bilder zur Vorführung zu bringen. Um gütigen Besuch bittet hochachtungsvollst Ludwig Holzmann, Kinematographenbesitzer."4

Zur Vorführung kamen in der Regel sechs Nummern. Meist setzte sich das Programm aus zwei Naturbildern, zwei humoristischen Filmen, einem zentralen Hauptfilm von 30 bis 40 Minuten und einem Drama von 20 bis 30 Minuten Länge zusammen. Für den 2. Platz wurden, je nach Programm, 30 bis 40 Pfennig, für den 1. Platz 50 bis 60 Pfennig Eintrittsgeld erhoben. In den Anzeigen des Lichtspielhauses Schwabmünchen finden wir Programme wie Ein Sportstag in Heliopolis (Aegypten), Der Weg zur Unsterblichkeit, Die Tochter des Gouverneurs, (nordischer Kunstfilm, 700 Meter lang, 30 Minuten Spieldauer), Anatoliens Küste (herrliches Naturbild), Um ein Paar Schuhe (Drama, 890 Meter lang, 40 Minuten), Stürmische Fahrt auf einer Viermastbarke (Naturbild), Krause zieht in den Krieg, Kaionan (Naturbild), Fritzchen auf Reisen (humoristisch) und Zoe (englischer Autorenfilm in drei Akten nach französischer Darstellungskunst).5

Am 10. April 1914 kündigte das Lichtspielhaus Schwabmünchen für Ostersonntag und Ostermontag das Sensationsdrama: Die Jagd nach der Hundertpfundnote oder: Die Reise um die Welt, einen abendfüllenden Film von zwei Stunden Spieldauer in 6 Akten an. "Sie werden staunen", so hieß es in der Zeitungsanzeige, "über die Fülle von Reichhaltigkeit und Belehrung, über die unübertreffliche Ausstattung der Szenerien, wie über die fesselnde Unterhaltung der Sujets."6

Die Zweifel des Magistrats von Schwabmünchen an der Rentabilität von Holzmanns Unternehmen scheinen durchaus berechtigt gewesen zu sein. Wegen schlechter Auslastung seiner Vorstellungen ersuchte der Kinobetreiber um Herabsetzung der Lustbarkeitssteuer, die in Schwabmünchen immer zugunsten der Armenkasse entrichtet werden mußte. Vor allem in den Jahren des Ersten Weltkrieges scheint das Interesse am Kino deutlich nachgelassen zu haben.


-70-

Nach Ende des Krieges wechselten mehrmals die Betreiber des Schwabmünchner Lichtspielhauses, das inzwischen unter dem Namen Bavaria-Lichtspiele geführt wurde, bis es schließlich in einen Raum des Gasthauses von Ludwig Blessing am Marktplatz verlegt wurde. Anfang der zwanziger Jahre erwarb Blessing die Lichtspiele käuflich. Unter seiner Federführung begann nun in Schwabmünchen eine Kino-Ära, die gut 40 Jahre dauerte. Blessing führte alle technischen Neuerungen, die die Zeit im Lichtspielwesen mit sich brachte, in seinem Haus ein. Am 23. Januar 1932 wurde in den Bavaria-Lichtspielen der erste Tonfilm aufgeführt. Das Lichtspieltheater fand beim Publikum so regen Zuspruch, daß es mit seinen 170 Sitzplätzen für den Andrang der Besucher oft zu klein war.

Schulpflichtigen Kindern war der Besuch der Lichtspielhäuser in dieser Zeit untersagt. Ludwig Blessing als Betreiber wurde von der Ortspolizeibebörde mehrmals strengstens angewiesen, dieses Verbot einzuhalten. Wurden Schüler im Kino angetroffen, mußten Eltern und Schüler vor einem Beamten der Gemeinde erscheinen und ein Protokoll mit folgendem Wortlaut unterschreiben: "Die Unterzeichneten bestätigen durch ihre Unterschrift, daß sie über den strafbaren Besuch ihrer Kinder von Lichtspieltheatern gemahnt worden sind und bei einer Wiederholung mit Strafanzeigen vorgegangen werden müßte". Gleichzeitig wurde die Schule informiert und um erzieherische Mithilfe gebeten. Protokolle und Schriftverkehr zu derartigen Vorgängen finden sich wiederholt in den Akten des Stadtarchivs.7

Nach 1945 wurden die Tonlichtspiele Schwabmünchen von dem Treuhänder Christian Boehme verwaltet und geführt. Aus dieser Zeit gibt es einen umfangreichen Schriftverkehr zwischen Kinobetreiber und Marktgemeinde mit dem Ziel, den Besucherandrang bei den einzelnen Kinovorführungen in den Griff zu bekommen. Eine Lösung fand man in zusätzlichen Vorstellungen.8 Die Nachfrage scheint weit über dem Platzangebot des Kinos gelegen zu haben. 1948 ging beim Magistrat bzw. bei der Militärregierung ein Gesuch Ludwig Blessings über den Bau eines neuen Lichtspieltheaters in zentraler Lage ein. Der Antrag wurde trotz der zeitbedingten Präferenzen für den Wohnungsbau genehmigt, und bereits am 4. November 1949 konnte das neue Haus an der Museumsstraße mit 432 bequemen Sitzplätzen in einer würdigen Feier mit vielen Ehrengästen eingeweiht und zum ersten Male bespielt werden. Als Eröffnungsfilm wurde der Streifen Heimliches Rendezvous mit Hertha Feiler, Rudolf Prack und Hans Nielsen gezeigt.9 Blessing verbesserte in den folgenden Jahren die technische Einrichtung seines Theaters ständig. Xenon- Projektionslampen und Breitwandeinrichtungen gehörten bald zur festen Ausstattung seines Hauses.

War das Schwabmünchener Filmtheater in den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg oft zu klein, so begann in den folgenden Jahren der Kampf um Besucher. Das Kino im Wohnzimmer, der Fernsehapparat, trat immer mehr in Konkurrenz zum Lichtspieltheater. Am 19. Februar 1967 fand in Schwabmünchen die letzte Kinovorstellung statt. Kurze Zeit später öffnete dort, wo jahrelang die neuesten Kinohits vor unzähligen Besuchern über die Leinwand flimmerten, ein Supermarkt seine Pforten.


Annoncen aus Schwabmünchen


Schwabmünchner Tagblatt, 27. Nov. 1913


 


Schwabmünchner Tagblatt, 10. April 1914


Schwabmünchner Zeitung, 5. Nov. 1949


Anmerkungen

1 SchwabmünchnerTagblatt, Nr.109,13. Mai 1908 

2 Schwabmünchner Tagblatt, Nr 224, 27. September 1913  

3 Stadtarchiv Schwabmünchen Akte 024332 

4 zitiert in Kreis Schwabmünchen 105/1938 

5 Anzeigen im Schwabmünchner Tagblatt, Nr. 56, 8. Marz 1914: Nr. 62,
15. Marz 1914: Nr. 84, 10. April 1914: Nr.124, 20. Mai 1914: Nr.140,20. Juni 1914 

6 SchwabmünchnerTagblatt, Nr. 84, 10. April 1914 

7 Stadtarchiv Schwabmünchen, Akte 132/2-3 

8 Stadtarchiv Schwabmünchen, Akte 132/2 3 

9 Schwabmünchner Zeitung, Nr.18, 5. November 1949 

Zum Anfang des Textes