Abdruck aus:

Optische Erfindungen von der Lochkamera zum Wanderkino
mit Beiträgen zur Kinogeschichte in Schwaben.

Schriftenreihe der Museen des Bezirks Schwaben,
herausgegeben von Hans Frei, Band 11.

© Museumsdirektion des Bezirks Schwaben, Gessertshausen 1995.
Zitate bitte mit genauer Quellenangabe "Forschungsstelle Mediengeschichte im internet, Universität Oldenburg" .Übernahme von Grafiken nur nach vorheriger Absprache

Wir danken der Museumsdirektion des Bezirkes Schwaben für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung der Beiträge.

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Wolfgang Seitz

Augsburger Guckkastenblätter

Zur Belustigung auf Jahrmärkten und zur Freizeitgestaltung und Bildung in den Bürger- und Adelsfamilien hatte sich in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts eine optische Neuheit entwickelt: der Guckkasten. Es handelt sich um einen Holzkasten, an dessen Vorderseite ein rundes Guckloch mit einer Sammellinse angebracht ist. In den Kasten werden flache Drucke, meist Kupferstiche, eingelegt, die direkt durch die Einblicksöffnung oder über einen Spiegel im Kasteninneren betrachtet werden können. Blickt man durch das Guckloch, erweckt die Optik die Illusion dreidimensionaler Bilder. Die Szenen erscheinen in plastischer Tiefe und in einer natürlichen, der Realität verwandten Perspektive. Manche Kästen konnten wie ein Rucksack getragen werden. "Guckkästner" zogen von Ort zu Ort und priesen großen und kleinen Kindern die Neuigkeiten in ihren Kästen mit großer Beredsamkeit an. Für die Befriedigung der Neugier war ein kleines Entgelt zu entrichten.

Stationäre Guckkästen standen, teils in üppiger Ausstattung, als Bildungsspielzeug in reichen Familien. Durch eine einmontierte Kerzenbeleuchtung und durch lichtdurchlässige Aussparungen auf den Bildern ließ sich die Illusion noch verstärken. So konnten zum Beispiel die aufgehende Sonne oder der Mondschein vorgegaukelt werden.

Auf Guckkastenblätter gebannt, kam die große, weite Welt zu den Menschen. Berühmte Städte und exotische Landschaften, Erdheben, Überschwemmungen und Brände, Schlachten zu Lande und zur See waren zu sehen. Weltwunder, biblische Szenen, Bilder aus der Mythologie und der Sage, aber auch Bühnenbilder boten sich dem Beschauer (siehe Farbseite).

Diese "Wunder" waren auf Kupferstichen, später vereinzelt auch auf Lithographien, dargestellt. Die Blätter haben ein genormtes Maß von 27 bis 28 cm Höhe und 40 bis 42 cm Breite. Unten tragen sie Bilderläuterungen, häufig in verschiedenen Sprachen. Oben findet sich eine Überschrift, die immer in spiegelverkehrten Buchstaben gedruckt ist, damit sie beim Betrachten im Spiegel des Kastens seitenrichtig gelesen werden konnte. Auch die Bilder selbst wurden häufig seitenverkehrt hergestellt.

Die Blätter waren grob und in kräftigen Farben koloriert. Das Kolorieren ließen die Verleger in Heimarbeit durchführen. Meist trugen Frauen und Kinder mit Schablonen das Kolorit auf, was zu der primitiven Farbwirkung dieser Blätter führte.

In nur fünf europäischen Städten wurden diese Blätter produziert: Paris, London, Bassano in Oberitalien, im späten 19. Jahrhundert in Berlin, vor allem aber in Augsburg.

Augsburg - ein Zentrum der Herstellung von Guckkastenblättern

Die freie Reichsstadt Augsburg besaß seit dem 15. Jahrhundert eine sehr reiche Tradition im Buchdruck und in den Graphischen Künsten. Trotz Reformations- und Kriegswirren, trotz wirtschaftlicher Krisen blieb die Stadt bis zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhunderts das deutsche Zentrum der "schwarzen Künste". Neben Büchern entstanden Tausende von Graphikblättern in allen Techniken durch ebenso begabte wie fleißige Augsburger Künstler. Generationen von Kupferstecherfamilien pflegten diese Künste. Augsburg hatte bald andere Städte im deutschsprachigen Raum wie Wien, Nürnberg und Frankfurt nicht nur an Quantität, sondern auch an Qualität um vieles übertroffen. Man spricht heute von Augsburg als der " Bilderfabrik Europas" im 18. Jahrhundert. Hier gab es Graphiken aller erdenklicher Arten, vom kleinsten Andachtsbild bis zum haustürgroßen Thesenblatt.

Kein Wunder, daß die nicht nur kunstbegabten, sondern auch sehr geschäftstüchtigen Augsburger Verleger die


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modische Neuheit der Guckkastenblätter sofort aufgriffen und in die Realität umsetzten. Als einzige deutsche Stadt übernahm Augsburg um 1765 diese aus Paris und London kommende Graphikgattung und übertraf bald das Ausland in der Qualität der Blätter. Schnell wurde die Stadt zum wichtigsten Herkunftsort von Guckkastenblättern in Europa. Der Ruf der Augsburger Blätter war so bedeutend, daß hunderte Augsburger Stiche von Pariser und italienischen Verlegern bis ins Detail kopiert und plagiiert wurden, trotz kaiserlicher Privilegien, die die Augsburger Verleger gegen Nachdruck schützen sollten.

Die Augsburger Verleger von Guckkastenblättern

Nur fünf der zahlreichen Augsburger Kupferstecher und Verleger befaßten sich zwischen 1765 und 1830 mit der Produktion von Guckkastenblättern. Dies waren:

Georg Balthasar Probst in der Zeit von 1766 bis 1790, mindestens 340 Blätter

Die Kaiserlich Franziskische Akademie (ab 1790 "Akademische Kunsthandlung") in der Zeit von 1770 bis 1795, mindestens 520 Blätter

Marx Abraham Rupprecht in der Zeit von 1770 bis 1790, mindestens 17 Blätter

Dominicus Fietta in der Zeit von 1790 bis 1807, mindestens 40 Blätter

Joseph Carmine in der Zeit von 1808 bis 1828, mindestens 150 Blätter
 

Georg Balthasar Probst

Georg Balthasar Probst (1732-1801) stammte aus einer traditionsreichen Verlegerfamilie. Er war der Enkel des größten Augsburger Kunstverlegers Jeremias Wolff (1663-1724) und der Sohn des Johann Balthasar Probst (1686-1750). Seit 1754 war er in erster Ehe mit der Tochter des berühmten Landkartenverlegers Matthäus Seutter verheiratet. Seinen Anteil am Wolff'schen Verlag baute er intensiv aus. Zu den bisher gepflegten Motiven nahm er ab 1766 Guckkastenblätter in sein Programm auf und führte diese Gattung zur Perfektion. Seine Blätter hoben sich durch künstlerische Qualität deutlich von den ausländischen Vorbildern ab. Seine Themen deckten das ganze damals übliche Spektrum ab.

Der geschäftstüchtige Probst strebte einen europaweiten Absatz seiner Blätter an, wie die mehrsprachigen Bildunterschriften belegen. Deutsche, lateinische, italienische und französische Texte finden sich auf seinen Ansichten ebenso wie englische und niederländische. Daß sich diese Maßnahme als sehr verkaufsfördernd erwies, zeigt sich heute noch daran, daß man auf dem Kunstmarkt in ganz Europa Probst'sche Blätter findet. Fast alle seine Stiche tragen das kaiserliche Schutzprivileg "Cum Privilegio Sac. Caes. Majest." oder abgekürzt "C.P.S.C.M."
 

Der Verlag der Kaiserlich Franziskischen Akademie

Dieser Verlag wurde von dem Augsburger Künstler und Kupferstecher Johann Daniel Herz von Herzberg gegründet, der zuvor 1755 eine Wissenschafts- und Kunstakademie begonnen hatte. Herz erlitt mit dieser Verlagsgründung allerdings Schiffbruch, zumal der Augsburger Rat sein fragwürdiges Unternehmen nicht förderte. Übrig blieb ein Kunstverlag, der erfolgreich viele Kupferstiche und Schabkunstblätter Augsburger Künstler verlegte, darunter auch mindestens 540 Guckkastenblätter. Durch den Ankauf von Kupferplatten mit Stadtansichten, die ungefähr die Guckkastenmaße besaßen, erweiterte er sein Angebot. Er arbeitete die Ansichten zu Guckkastenblättern um, indem er spiegelverkehrte Überschriften dazustechen ließ.

Bezeichnend für die Blätter aus dem Verlag der Franziskischen Akademie sind deutsch- und französischsprachige Erklärungen unter dem Bild sowie die Bezeichnung "Collection des Prospectes" oben links. Die gute Stichqualität garantierten Kupferstecher wie Leizel, Nabholz, Remshart oder Riedel. Das Kolorit ist meist gefällig. Ab 1790, nach Auflösung der Akademie, firmierte der Verlag als "Akademische Kunsthandlung".


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Marx Abraham Rupprecht

Rupprecht verlegte zwischen 1770 und 1790 nur wenige Guckkastenblätter. Er war der Gehilfe und spätere Erbe des Kupferstechers Johann Christoph Haffner, der sich als Vedutenstecher einen guten Namen gemacht hatte. Rupprecht stach Ansichten europäischer Städte im Format von Guckkastenblättern und setzte am Oberrand den spiegelverkehrten Städtenamen ein. Die Qualität seiner Blätter ist sehr mäßig.
 

Dominicus Fietta

Die Fiettas kamen als Hausiererfamilie, die mit italienischer Graphik handelte, aus Oberitalien nach Süddeutschland. Eingesessene Augsburger Verleger verhinderten die Niederlassung dieser Konkurrenz in der Stadt. Der Rat lehnte 1788 den Zuzug ab, obwohl Fietta ein Vermögen von 15000 Gulden nachweisen konnte. Deshalb ließ sich der Verlag vor den Toren der Stadt in Kriegshaber nieder. Das Dorf gehörte damals zu Vorderösterreich (Markgrafschaft Burgau), das die Zuzugsbestimmungen wesentlich liberaler handhabte. Ab 1795 verlegte Fietta neben zahlreicher anderer Graphik mindestens 40 Guckkastenblätter minderer Qualität. Durch seine Verlagssignatur "Chez Fietta et Comp. a Kriegshaber pres d'Augsbourg" ist das kleine Dörflein in die Kunstgeschichte eingegangen.
 

Joseph Carmine

Carmine, aus italienischer Familie stammend, war ursprünglich Graphikhändler in Prag. 1788 gelang es ihm, das Augsburger Bürgerrecht zu erwerben und seinen Verlag in der Stadt zu etablieren. Er war der letzte in der Reihe der Augsburger Guckkastenverleger. Seine Blätter erschienen zwischen 1808 und 1828. Sie besaßen unter den Augsburger Produkten die geringste Qualität. Die Zeichnung ist schwerfällig, die Perspektive oft stark verzeichnet, das Kolorit grell und grob. Carmine brachte durchwegs dreisprachige Erklärungen in italienisch, deutsch und französisch an.

Wichtig sind Carmines Blätter, weil sie den baulichen Zustand der Städte und Straßen um die Wende zum 19. Jahrhundert wirklichkeitsnah wiedergeben. Die Menschen auf seinen Stichen tragen schon die Mode der Biedermeierzeit. Von Carmine sind mindestens 150 Blätter bekannt.
 

Das Guckkastenblatt als Sammelobiekt

Guckkastenblätter sind gewöhnlich kaum in den großen Kunstmuseen und -sammlungen zu finden, sondern eher noch in Stadt- und Heimatmuseen. Vor allem aber haben sich Privatsammler dieser Blätter angenommen, sowohl aus dekorativen als auch aus geographischen und historischen Gründen. Mit ihren reizvollen Motiven sind Guckkastenbilder Spiegel ihrer Zeit, die erst seit kurzem die ihnen zustehende Würdigung erfahren.

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Literatur:

Füsslin, Georg u. a.: Der Guckkasten. Einblick - Durchblick - Ausblick, Stuttgart 1995

Ganz, Thomas: Die Welt im Kasten, Zürich 1994

Il mondo nuovo. Le meraviglie della visione dal 700 alla nascita del  cinema, Katalog, Bassano 1988