Bernd Poch  - Wanderkino in Norddeutschland

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1. Filmvorführung in Wilhelmshaven:

7.12.1896 im Hause „Rheinischer Hof“, Bismarckstr. 5, bis 6.1.1897.

Paul Behrens aus Bremen.
 


Annonce 6.12.1896, Wilh. Tageblatt
 

Zeitungsartikel:

„Wilhelmshaven, 4.Dez. Der Kinematograph oder die lebende Photographie soll nunmehr auch unserem Publikum vorgeführt werden. Wer die Lübecker und Berliner Ausstellung besucht hat, wird gewiß nicht an diesem hochinteressanten Apparat vorübergegangen sein. Derselbe wird vom Montag ab im „Rheinischen Hof“ (Bismarckstr.) ausgestellt sein.

Wilhelmshavener Tageblatt, Nr. 285, 4.12.1896.
 

„Wilhelmshaven, 5. Dezember. Der Kinematograph Lumiére, der vom Montag ab im Rheinischen Hof“ aufgestellt ist, ist als eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges zu bezeichnen. Durch die Momentphotographie wurde es möglich, ein in Bewegung befindliches Objekt ve rmittelst vieler rasch hintereinander erfolgender Aufnahmen auf der Platte festzuhalten, wie uns der doch immerhin nur primitive Anschütz´sche Schnellseher schon zeigte. Den Herren August und Louis Lumiére ist es gelungen, die mit der camera gemachten Aufnahmen vermittelst eines von ihnen konstruirten Apparates unter hellster elektrischer Beleuchtung auf die Leinwand zu projiziren, so daß der Beschauer in den Wahn versetzt wird, den in vollster Bewegung befindlichen Gegenstand in Natura vor Augen zu haben. Eines der Bilder folgt rasch auf das andere, daß ein zeitlicher Zwischenraum gar nicht vorhanden ist und eine optische Täuschung erreicht wird, die in der That ihres Gleichen sucht.“

Wilhelmshavener Tageblatt, Nr. 287, 6.12.1896
 

Annonce 6.12.1896, Norddt. Volksblatt
Annonce LumiŠre 2
 

„-Der Kinematograph Lumiére, ein Apparat, durch welchen die lebende Photographie dargestellt wird, hat seinen Einzug hier gehalten und wird im Lokale des Herrn Schladitz - „Rheinischer Hof“ - vorgeführt. Diese Vorführungen setzen etwa seit einem Jahre das Publikum der Großstädte in Erstaunen. Die Erfinder sind die Franzosen Gebr. August und Louis Lumiére. Der Apparat führt dem Auge der Zuschauer - auf eine gespannte Leinwand geworfen - ganze Straßenszenen und Vorgänge, mit hundert von Menschen in Lebensgröße beweglich, vor. Alles, was in der Natur lebt, der Verkehr auf Straßen und Plätzen, die Meereswogen, alles das sehen wir vor uns, greifbar nahe, in der ganzen Natürlichkeit. Es ist alles ungeschminkte Wirklichkeit auf der photographischen Platte, in jedem Stadium der Bewegung aufgefangen und ebenso getreu wiedergegeben. Wir werden noch einmal auf den Apparat erklärend zurückkommen, für heute wollen wir nur Jedermann, der sich für die Fortschritte auf diesem Gebiete interessirt und neben dem Reiz, den die Neuheit der Sache bietet und zur Bewunderung zwingt, sich noch köstlich amüsiren will, den Besuch der Vorführungen empfehlen.“

Norddeutsches Volksblatt, Nr. 284, 6.12.1896
 

„Wilhelmshaven, 9. Dez. Die Vorführung der lebenden Photographien (Kinematograph) erfreut sich mit Recht eines fortgesetzt steigenden Besuchs. Daß die Kunst der Photographie in Verbindung mit der auf sehr hoher Stufe stehenden Technik eine derartige Wirkung hervorbringen kann, glaubt Niemand, bis er sich mit eigenen Augen davon überzeugt hat. Da sieht man z. B. Straßenscenen zuerst in einer lebensgroßen Photographie vor sich. Wie durch einen Zauberschlag fangen die Figuren an auf die natürlichste Weise sic h zu bewegen und bekommen Leben, wie in der Wirklichkeit. Zwischen Fußgängern bewegen sich Radfahrer, Omnibusse, Motorwagen; die Menschen begrüßen sich durch Hutabnehmen, Winken u. s. w., kurzum es sind vollständig belebte Bilder in natürlicher Größe in Stadt- und landschaftlichen Scenerieen. Ganz großartig ist die Wiedergabe einer Felsengruppe anm Meeresstrande. Man sieht die Brandung zwischen den Felszacken kommen und gehen, den Gischt aufspritzen und die Felsen bespülen, dahinter das weite, weite wogende Meer in so natürlicher Bewegung und in einer so natürlichen Perspektive, daß man vergißt, daß man vor einem Bilde steht. Ein anderes Bild zeigt den Empfang des Zarenpaares in Paris. Eine Schwadron berittener Dragoner erscheint auf dem Plan, sie reiten 
schnell vorüber und verschwinden von der Bildfläche, dann folgen, gleichfalls vorüberziehend, eine Reihe von Equipagen, in deren einer der Zar sitzt. Sehr anschaulich war auch die Parade eines spanischen Regiments. Man sieht die marschirenden Truppen genau, wie sie die Füße abwechselnd setzten und endlich immer näher und näher kommen, der Lieutenant schwenkt ein und nun defilirt die ganze Abtheilung vorüber, um einer neuen Platz zu machen. Alles in einem Bild, das genau mit fortschreitenden Bewegungen die Wirklichkeit wiedergiebt. Das Räthsel erklärt sich dadurch, daß eine Menge nebeneinander aufgenommener todter Augenbilckbilder so schnell hintereinander folgen, daß im Auge die Täuschung eines lebendigen Bildes erzeugt wird. Die Bilder erscheinen auf ei n em großen Wandschirm mittelst elektrischen Lichtes projizirt. Hervorgehoben zu werden verdient, daß die Vorführung nichts puppenhaftes hat, wie in mechanischen Theatern. Es sollte sich Niemand, wer es auch sei, die Gelegenheit entgehen lassen, diesen For tschritt der Kunst und Technik zu sehen. Der für die Stadtbewohner etwas weitere ungewohnte Weg zum Rheinischen Hof in Heppens läßt sich leider nicht vermeiden, da im Stadtgebiete selbst kein Saal zu haben ist mit elektrischen Licht, dessen der Apparat un bedingt bedarf.“

Wilhelmshavener Tageblatt, Nr. 290, 10.12.1896
 

„Die Vorführung des Kinematograph im „Rheinischen Hof“ erfreut sich eines guten Besuches und werden die Besucher gefunden haben, daß wir nicht zuviel gesagt, als wir vor dem Beginn der Vorführungen den Besuch empfohlen. Ohne Zweifel würde ein großer Theil des Publikums mehr angezogen werden, wenn das Programm nicht in Vorführung von Paradebildern bestände. Jedoch ist die Vorführung von Paradebildern nicht der Zweck, sondern an solchen Menschenanhäufungen bei Paraden wird eben das anscheinend Unmögliche, bew egliche Massen durch die Photographie in Verbindung mit der Technik auf die Bühne zu bringen, am bewundernswerthesten dargestellt. Es sind aber schon die Straßenszenen, die dazwischen laufen, großartig, in noch viel höherem Maße die Wiedergabe des Meeress trandes mit seiner Brandung, den Felszacken der bretonischen Küste und dem weither wogenden Meere. Es ist alles so natürlich, daß man im Anblick versunken die Täuschung vergißt und in die Wirklichkeit sich versetzt fühlt.

Das „Wilh.Tagebl.“, das gestern auch darüber berichtete, wußte natürlich in seinem Bericht den Bewohnern des Stadttheils Neuheppens wieder klar zu machen, daß Neuheppens eigentlich nicht zum Stadtgebiet gehört. Dazu gehört seiner Ansicht nach nur die Roonstraße, Königstraße und selbstverständlich die Kronprinzenstraße und was drum und dran liegt. Es schreibt nämlich:

„Der für die Stadtbewohner etwas weite ungewohnte Weg zum „Rheinischen Hof“ in Heppens läßt sich leider nicht vermeiden, da im Stadtgebiet selbst kein Saal zu haben ist mit elektrischem Licht, dessen der Apparat unbedingt bedarf.“

Diese Rabulistik ist recht erheiternd. Im Stadtgebiete ist eben kein Saal, der elektrisches Licht hat, dagegen ist im „Landgebiet“ der Stadt Wilhelmshaven, im Stadttheil Neuheppens, solches. Dieser ist also der wirklichen Stadt in der Anwendung der technis chen Fortschritte überlegen. Oder sind dem Heine die geographischen Begriffe auf einmal so verwirrt worden, daß er gar meint, die Bismarckstraße mit ihren Nebenstraßen gehöre zur Gemeinde Heppens? Die Heppenser wären sicher damit einverstanden und die Neuheppenser wohl auch.“

Norddeutsches Volksblatt, Nr. 288, 11.12.1896
 

Cinematograph. Geschäftliche Ankündigungen mit Reklame-Kundgebungen zu begleiten, ist weder Usus noch Aufgabe der Arbeiterpresse. Anders ist es jedoch, wenn der forschende Geist auf dem Gebiete der Wissenschaft Neues entdeckt: auf solche Erscheinungen unse re Leser aufmerksam zu machen, erachten wir als unsere Pflicht. Eine solche Erfindung ist die der sog. lebenden Photographie, dargestellt durch den Cinematograph, auf den wir schon wiederholt aufmerksam gemacht haben. Er wird dem Besucher im Lokale des Herrn Schladitz (Rheinischer Hof) anschaulich vorgeführt und ist nicht zu verwechseln mit einem Panorama. Heitere und ernste Szenen aus dem Leben, wie sich die Dinge in der Natur abspielen, sehen wir in natürlichen Bewegungen durch die Photographie wiederge geben. Der Kartellkommission ist es gelungen, für die Mitglieder der Gewerkschaften und deren Angehörige eine Preisermäßigung zu erlangen (siehe Inserat), um die Veranschaulichung der neuen Erfindung auch den Unbemittelteren zugänglich zu machen. Es ist daher zu erwarten, daß diese Gelegenheit eifrig benützt wird, zumal drei Festtage vor der Thür stehen, wo ein Familienbesuch des Cinematograph leicht möglich gemacht werden kann.-

Bemerkt sei noch, daß am 18., 19. Und 20. D. Mts. Keine Vorstellungen stattfinden. An den sonstigen Tagen kann jeder nach Belieben seine Eintrittskarte benutzen.“

Norddeutsches Volksblatt, Nr. 295, 19.12.1896
 
 

Welche Wanderkinos besuchten Wilhelmshaven (Liste 1897-1905) ?
Hier wird aufgelistet, wer wo wann die jeweilige Stadt besuchte. Weiterführende Links rufen Seiten auf, auf denen Annoncen und Pressereaktionen (so es sie gab) präsentiert werden.
 

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