2. Der Wiederaufbau der Lichtspieltheater in Ludwigshafen 1945 - 1949 - ein kurzer Überblick
1945 war Ludwigshafen in eine Trümmerwüste verwandelt, es blutete aus tausend Wunden 50, wie es später ein Journalist in poetische Sprache kleidete. 124 Fliegerangriffe hatten seit 1940 ganze Arbeit geleistet. Die Innenstadt war zu zwei Dritteln, die direkt angrenzenden Bezirke waren etwa zur Hälfte völlig zerstört. Selbst in den 1938 eingemeindeten Vororten lag der Zerstörungsgrad zwischen 25 und 37 Prozent. Die Bevölkerung, deren Zahl 1939 bei 144.000 gelegen hatte, war auf 55.000 Einwohner geschrumpft. Tausende hausten in zugigen, engen Wellblechbaracken. Trotz der katastophalen Wohn- und Ernährungssituation strömten wieder Menschen in die Industriemetromole, die
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bereits 1946 mit über 100.000 Einwohner einzige Großstadt der französischen Zone wurde 51. Von den im Jahre 1942 vor den großen Zerstörungen durch den Luftkrieg vorhandenen acht 52 Kinos war keines mehr betriebsbereit. Es verwundert deshalb nicht, daß die Ludwigshafener länger auf Filmvorführungen warten mußten als andere. Im westpfälzischen Kaiserslaut ern hatten sich bereits im Monat der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reiches wieder zwei ortsfeste Lichtspieltheater etabliert53. Da es im schwer zerstörten und übervölkerten Ludwigshafen an bestehenden Sälen, an Baumaterial, Einrichtungsgegenständen und nicht zuletzt an Vorführungsgeräten mangelte, war es die Militärregierung, die aus der Trümmerlandschaft wieder Kinoträume wachsen ließ. Man stößt zwar vor allem bei Befragungen der Nachkriegsgeneration immer wieder auf Berichte von ambulanten Kinovorführungen in Hinterzimmern von Gaststätten, Kantinen, kirchlichen Räumen und Festhallen. Da sie kaum zu rekonstruieren sind, finden sie hier keine nähere Erwähnung. Die erste nachweisbare Dauereinrichtung war das bereits oben erwähnte „Pfalzbau“-Theater. Dieses Großkino lag zentral in der Ludwigshafener Innenstadt am Brückenkopf nach Mannheim, wo sich heute der Berliner Platz befindet. Im Zweiten Weltkrieg wurde der 1928 erbaute, zum ehemaligen UFA-Konzern gehörende größte Filmpalast der Region mit 1374 Sitzen schwer beschädigt. Die UFA-Treuhandverwaltung stellte ein Kino mittlerer Größe in einem ehemaligen Garderobenraum her, so daß der „Pfalzbau“ bereits am 29. September 1945 54 wiedereröffnet werden konnte55. Gezeigt wurde die Komödie "Sophienlund", eine bewährte Reprise aus der Vorkriegszeit, die 1943 unter der Regie von Heinz Rühmann gedreht wurde. Die zuvor gezeigte Wochenschau widmete sich besonders dem Besuch General de Gaulles in den Vereinigten Staaten. Das erste Kinoprojekt in der größten Stadt der französischen Zone hatte offenbar die besondere Unterstützung der Militärregierung genossen, denn es dauerte neun Monate bis private Unternehmer die bereits geschilderten typischen Nachkriegshürden bei der Einrichtung eines Lichtspieltheaters überwinden konnten.
Am 14. Juni 1946 eröffnete Hedwig Doll das „Lichtspielhaus am Schillerplatz“ etwa acht Kilometer von der Ludwigshafener Innenstadt entfernt in Oggersheim. Bereits seit den dreißiger Jahren hatte sich hier das „Tonbild“-Theater eingemietet bis das Gebäude im Krieg schwer zerstört worden war. Hedwig Doll besaß keine Kino- und Geschäftsführungspraxis. Ihr Ehemann, Mitinhaber eines im Krieg zerstörten Ludwigshafener Musikhauses, war noch
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nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt, als sie ihren Wunsch, ihr Lich spielhaus am Schillerplatz zu eröffnen, in die Tat umsetzte 56. Bei der Premiere sollte die Musikkomödie „Rosen in Tirol“ gezeigt werden. Der Film wurde 1940 in Deutschland von Gèza von Bolvàry nach der Operette „Der Vogelhändler“ inszeniert. Die Besetzung mit Johannes Heesters, Hans Moser und Theo Lingen hätte wohl auch in Oggersheim ein Kassenschlager werden können. Die zuständige Unterbehörde der Section Cinèma in Ludwigshafen verbot jedoch die Aufführung und ordnete für die Eröffnung den Kriminalfilm „Fallensteller“ („Piéges“, 1939) an, der in der französischen Originalversion gezeigt wurde und deshalb beim Publikum geringen Zuspruch fand. Der Kinosaal mit etwa 250 Plätzen bot auch Raum für Liederabende, klassische Konzerte, Kleinkunst und andere kulturelle Veranstaltungen.
Das Oggersheimer „Tonbild“, das Vorgängerunternehmen des „Lichtspielhauses am Schillerplatz“, fand noch 1946 eine notdürftige Bleibe. Trotz der provisorischen Unterbringung im Saal der Gaststätte „Wittelsbacher Hof“ begann sofort ein regelmäßiger Spielbetrieb. Am 16. April 1949 konnte das „Tonbild“-Theater dauerhaft in einem städtischen Gebäude in der damaligen Bahnhofstraße untergebracht werden. Das Kino trug fortan den zeitgemäßen Namenszusatz „Weißes Rössl“.
Als zweites innenstädtisches Großkino nahm das „Rheingold“-Theater in der Prinzregentenstraße im Hemshof seinen regulären Spielbetrieb auf. Das wie der Pfalzbau im Herbst 1928 eingerichtete Kino war erst seit 1935 UFA-Palast und bot Platz für 1200 Zuschauer. Als einziger Ludwigshafener Saal ist das „Rheingold“ von den verheerenden Kriegsschäden halbwegs verschont geblieben. Noch 1945 lief ein unregelmäßiger Spielbetrieb wieder an. Zunächst mußte sich das Kino den Saal mit verschiedenen Veranstaltungen teilen: Sogar Theater-Vorstellungen - beispielsweise „Die Fliegen“ von Jean-Paul Sartre - fanden hier statt. 1946 half das Ludwigshafener Chemieunternehmen BASF mit einer finanziellen Zuwendung dem Saal wieder ein nobles Ambiente zu verleihen: Mit der Erwartung , daß mit der Errichtung dieser Heimstätte der Kultur viele Tausende unserer Bürger frohe Entspannung und Erholung finden mögen, um dann mit frischem Mut zum Alltagsschaffen zurückzukehren wurde am 2. Juli 1946 die Wiedereröffnung gefeiert. In der Tagespre sse schlug man wegen des beschwingten Revuefilms aus der NS-Zeit (D 1942) eher nachdenkliche Töne an: ”Hab’ mich lieb”, nannte sich der Hauptfilm des Abends, und wenn Marika Rökk dabei ist, muß schon eine große Revue passieren ..., nur fragen wir uns dabei : Haben wir in unserer Zeit dafür noch Verständnis 57? Man hatte offenbar Verständnis, wie es die Spielfilmpalette beweist. Mit dem „Pfalzbau“ und dem „Rheingold“ hatte die UFA-Treuhand-
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Gesellschaft nun in Ludwigshafen eine Monopolstellung, sieht man von den beiden Kleinkinos im acht Kilometer westlich gelegenenen Oggersheim ab. Angeboten wurden drei Vorstellungen am Tag und eine Nachtvorstellung mit eigenem Programm.
Die Situation des Ludwigshafener Lichtspielwesens änderte sich erst 1948, als sich die Zahl der Theater auf sechs erhöhte: „Skala“ nannte sich die ambulante Spielstätte, die am 8. Januar 1948 in der Goetheschule in Oppau eröffnet wurde. Im Unterschied zu den anderen Kinos gab es hier im Eröffnungsjahr noch kein Vollprogramm, erst 1949 begann ein regelmäßiger Spielbetrieb. In Friesenheim eröffnete Ida Mücklich am 17. April 1948 die „Metropol“-Lichtspiele. Sie war die Witwe eines bekannten Hemshöfer Kinobesit zers der Vorkriegszeit. 1944 hatte Ida Mücklich die erforderlichen Vorführapparate ... nach der Zerstörung ihres Theaters nach Friedrichsfeld bei Mannheim ausgelagert .... Zwar waren diese unzerstört geblieben, da Mannheim jedoch in der amerikanischen Zone lag, mußte die Besitzerin bei der Militärregierung einen Antrag zur Heimholung der ausgelagerten Filmgeräte stellen. Dafür brauchte sie wiederum eine Bestätigung, daß ihr Ludwigshafener Kino im Krieg zerstört worden war 58. Als die Gefahr einer französischen Beschlagnahme gebannt war, galt es für Ida Mücklich das Raumproblem zu lösen. Hier kam ihr die katholische Kirchengemeinde Sankt Gallus zu Hilfe und stellte den Gemeindesaal zur Verfügung.
Im Gründungsjahr der Bundesrepublik, 1949, erlebte die Kinolandschaft einen tiefgreifenden Wandel: Die Zahl der Spielstätten war auf zehn angewachsen. Alle Neueröffnungen fanden in den Vororten - an der Peripherie - statt. In Rheingönheim, im Süden von Ludwigshafen, eröffnete am 10. Februar 1949 das „Capitol“ in der Hauptstraße 57 - gegenüber dem dortigen Gemeindehaus. Dann ging alles Schlag auf Schlag. Im Sommer, genauer gesagt am 17. Juni bekam die Gartenstadt ein Kino im Volkshaus, Weißdornhag 1. In der Mundenheimer Bahnhofstraße 36 eröffnete Jakob Schließmeyer am 30. Juli die „Kasino“-Lichtspiele. Der Kinosaal mit maximal 400 Sitzplätzen wurde im evangelischen Gemeindesaal eingerichtet. Mit der warmen Tapete, geschmackvollen Leuchten und Gardinen und der neuartigen Klappbestuhlung macht das Theater einen gediegenen Eindruck 59, wie es die Presse zu berichten wußte. Als Eröffnungsfilm lief „Das unsterbliche Antlitz“ (Österreich [Ö] 1947), der sich mit dem Leben des Malers Anselm Feuerbach in Rom Mitte des 19 . Jahrhunderts widmet.
Am 15. Oktober nahm in der Mundenheimer Straße das „Raschig“-Filmtheater seinen Betrieb im Veranstaltungssaal der gleichnamigen Chemiefirma auf. Zur Eröffnung wurde in dem vollbesetzten Theater vor 600 Zuschauern der Operettenfilm „Fregola“ (Ö 1948) gezeigt.
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Daß sich die unter unmittelbarem Einfluß der Besatzungsregierung stehende UFA-Treuhand gerade in Ludwigshafen so stark engagierte, liegt offenbar nicht nur an den beiden Großeinrichtungen aus Zeiten der Weimarer Republik. Die Pfalzmetropole brauchte ein an gemessenes Angebot an Kinoplätzen, denn das benachbarte größere Mannheim war bis 1948 von der Pfalz durch die Grenze zwischen amerikanischer und französischer Zone völlig abgeschnitten. Die geringe Privatinitiative in der Anfangszeit resultierte offenbar aus der außergewöhnlich starken Zerstörung, dem daraus resultierenden Mangel an geeigneten Immobilien und der schlechteren Materiallage in der französischen Zone. Diese Tatsachen, verbunden mit der hohen Einwohnerzahl der Großstadt riefen nicht nur die Ökonomen unter den Besatzern, sondern auch die Politiker, die Kino als wichtiges Informations- und unverzichtbares Unterhaltungsmedium ansahen, zum Handeln auf. Daß Ludwigshafen in den vierziger und fünfziger Jahren ein guter Markt für Film und Kino war, beweist der starke Anstieg der privaten kleinen Spielstätten im Gründerjahr der Bundesrepublik auf insgesamt zehn Lichtspieltheater 60. „Kinosterben“ war kein Begriff in dieser Zeit der dramatischen Aufwärtsentwicklung, die Ludwigshafen im Jahre 1956 sechzehn Lichtspielhäuser bescherte. Erst mit dem Aufkommen des Fernsehens waren in den späten sechziger Jahren Jahren viele Besitzer zur Aufgabe gezwungen. Betroffen waren nicht nur die kleinen Theater an der Peripherie, die weniger aktuelle Filme spielten, sondern auch die beiden Großkinos aus den zwanziger Jahren in der Innenstadt - sie galten als zu groß. Heute sind alle Kinos der Nachkriegszeit aus dem Stadtbild verschwunden, es gibt nur noch die beiden Fünfziger-Jahre-Kinos „Union“ und „Corso“. Doch hier bahnt sich eine Neuentwicklung, die diese Lichtspielhäuser gefährden könnte. Seit Ende der achtziger Jahre entstanden in vielen deutschen Städten sogenannte Multiplex-Kinos. Auch in Ludwigshafen ist ein solches Kinocenter mit insgesamt 3000 Sitzplätzen in verschiedenen Sälen geplant. Doch schon die Konzeption - verschiedene kleinere und mittlere Filmtheater mit unterschiedlichen Vergnügungs- und Restaurationsbetrieben unter einem Dach - verrät die neue Rolle des Lichtspielwesens. Kino ist heute nicht mehr das zentrale visuelle Informations- und Unterhaltungsmedium mit Breitenwirkung, wie es bis in die sechziger Jahre der Fall war, sondern bildet eine Sparte in einem breiten Vergnügungsangebot.
Anmerkungen