Schriftenreihe der Museen
des Bezirks Schwaben,
herausgegeben von Hans
Frei, Band 11.
© Museumsdirektion des Bezirkes
Schwaben, Gessertshausen 1995.
Zitate bitte mit genauer Quellenangabe
"Forschungsstelle Mediengeschichte
im internet, Universität Oldenburg". Übernahme
von Grafiken nur nach vorheriger Absprache
Wir danken der Museumsdirektion des Bezirkes Schwaben für die freundliche Erlaubnis zur Veröffentlichung der Beiträge.
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Ruth Baumer
Optische Erfindungen von der Lochkamera
zum Wanderkino
Üblicherweise konzentrieren wir
uns bei der Betrachtung der Geschichte des Films auf den Aspekt des technischen
Fortschritts. Dieser Blickwinkel läßt nur einen historischen
Augenblick zu: das Jahr 1895 mit den ersten kinematographischen Vorführungen.
Und er benennt nur die Erfinder, die sich mit diesem historischen Augenblick
verbinden: die Gebrüder Lumiére.
Im Grunde gibt es jedoch keinen einzelnen
Erfinder, keinen einzelnen historischen Augenblick. Die optischen Erfindungen,
die sich im Vorfeld der Kinematographie um die bildhafte Wiedergabe der
Wirklichkeit bemühten, sind die eigentlichen Bausteine des Films.
Doch werden sie meist nur als unvollkommene Schritte zum viel ausgereifteren
Film belächelt.
Der Kinematograph bündelt zwar
verschiedene Sehbedürfnisse, die bis dahin nur partiell befriedigt
wurden, er verdrängt aber auch alte Bildmedien, deren ästhetische
Erlebnisformen der Film nicht bieten kann. Wir spüren ihnen nach.
Schon die ersten Anwendungen und Vorführungen
der optischen Erfindungen vor der Kinematographie, - Camera obscura, Guckkasten,
Laterna magica, stroboskopische Spielereien, Photographie - fanden ein
begeistertes und fasziniertes Publikum.
Die frühen Bildmedien wie Moritatentafel
und Guckkasten waren bereits darauf bedacht, nicht nur Vergnügen,
sondern auch Information zu bieten. Aktualität war eine Priorität
für das Angebot der Guckkastenmänner und -frauen. Historische
Augenblicke, - ob politische Ereignisse oder Naturkatastrophen - wurden
schnellstmöglich auf Papier gebannt und auf den Märkten als Neuigkeit
angepriesen.
Mit der Geschichte der Bildmedien ist
eine Geschichte des (Augen-)Blicks auf das engste verknüpft. Viele
der
Mit der Entwicklung der Projektionskunst
wird die Schaulust ein kollektives Vergnügen. Das in einem Saal sitzende
Publikum wird zu angekündigten Vorstellungsterminen mit einem feststehenden
Programm unterhalten. Bei den Blicken in die Apparate und auf die Leinwand
handelt es sich insofern um historische (Augen-) Blicke.
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Das Geheimnis der dunklen Kammer
Camera obscura (lateinisch) bedeutet
nichts anderes als eine dunkle Kammer, in die wir hineingehen und ein einzigartiges
optisches Phänomen beobachten können Wird in diesem dunklen Raum
an einer Seite eine kleine Öffnung angebracht, durch die ein Lichtstrahl
eindringen kann, zeichnet sich an der gegenüberliegenden Seite das
Bild der Außenwelt seitenverkehrt und auf dem Kopf stehend ab. Wird
im Lochausschnitt eine Sammellinse eingesetzt, erhöht sich die Schärfe
und Helligkeit des Bildes und mit Hilfe eines Spiegels wird das Bild wieder
umgekehrt und seitenrichtig abgebildet.
Eine erste Erwähnung der Camera
obscura findet sich bei dem arabischen Gelehrten Ibn Al-Haitham im Jahre
1038. Er wendet diese Technik an, um bei der Betrachtung von Sonnenfinsternissen
sein Augenlicht nicht zu gefährden. Im 15. Jahrhundert erkennt Leonardo
da Vinci (1452-1519) die Analogie zur Funktionsweise des menschlichen Auges
und gibt eine erste exakte Beschreibung von Technik und Wirkung der Camera
obscura.
Eine größere Verbreitung
findet die Camera obscura im 16. Jahrhundert durch Giovanni Baptista della
Porta (1553-1615). Er nutzt ihre technischen Möglichkeiten zur Inszenierung
von Zauberspektakeln: Vor einem verdunkelten Zuschauerraum, der mit einer
Öffnung versehen ist, läßt della Porta von Schauspielern
pikante Liebesszenen, brausende Jagden oder furchteinflößende
Geisterszenen spielen, deren Abbild auf einem weißen Tuch im Innern
des Raumes erscheint. Mit seinem Zaubertheater unternimmt er zahlreiche
Reisen durch Europa und wird zum Vorbild für die Gaukler mit ihren
Jahrmarktsunterhaltungen.
Die Beobachtungen und die Auseinandersetzung
mit der Camera obscura führen im weiteren zum Guckkasten, zur Laterna
magica und in ganz direkter Weise zur Entwicklung des Photoapparates.
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"A la Silhouette" oder der Schattenriß
Das Umrißzeichnen wird ab der
Mitte des 18. Jahrhunderts zu einer vielfach ausgeübten Kunst. Die
Bezeichnung silhouettieren geht auf den französischen Finanzminister
Etienne de Silhouette zurück, der um 1757 in Paris zum Stadtgespräch
wird, weil er alles auf "die ökonomischste Weise" einzurichten versucht.
So wird jedes neue, populäre Vergnügung verächtlich "a la
Silhouette" genannt, darunter auch die Schattenbilder. Ihre Billigkeit
gegenüber den kostspieligen Ölgemälden soll damit hervorgehoben
werden.
Einen besonderen Aufschwung nimmt das
Silhouettieren zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Der Physiognomiker Johann
Caspar Lavater (1741-1801 ) bildet es zu einer besonderen Kunst aus und
stellt Regeln zur Interpretation von Silhouettenportraits auf.
Bis zum Beginn der Photographie ist
der Schattenriß das 'Portraitbildnis mit der größten Verbreitung.
Das Spiel mit Licht und Schatten
Die Schattenspielkunst wie sie in China
ausgeübt wurde (die ältesten Berichte stammen von 1100 v. Chr.),
ist in gewisser Weise die älteste und einfachste Art der Projektion:
Mit einer punktförmigen Lichtquelle (Fackel, Kerze, Ol-, Petroleum-
oder Glühfadenlampe) werden Schatten auf einer durchscheinenden Wand
abgebildet, auf deren Gegenseite das Publikum sitzt. Die Schatten werden
entweder von sich bewegenden Personen oder von beweglichen Figuren aus
Leder, Horn, Holz und Papier erzeugt. Das Schattenspiel bietet von Anfang
an die Möglichkeit, tatsächliche Bewegung auf einer Leinwand
vorzuführen.
Das Schattenspiel widmet sich ursprünglich
religiösen Themen und literarischen Motiven. Diese Inhalte weichen
aber seit Beginn der Moderne immer mehr zugunsten von Aktualität und
Belustigung zurück. Fahrendes Volk macht das Schattenspiel und die
magische Wirkung bewegter Figuren vor flackerndem Licht im 17. Jahrhundert
in Europa bekannt. Unter dem Begriff der ombres chinoises sind künstlerische
Vorführungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch in den Salons weit
verbreitet.
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Der Lehrer und Dichter beherrschte
meisterhaft die Kunst des Porträtierens mit dem Schattenriß.
Zahlreiche Figuren, Tiere, Pflanzen und Szenen gestaltete er in filigraner
Zartheit als Scherenschnitte. Text und Bilder sind seinem Buch "Spiel der
Schatten", Stuttgart 1974, entnommen.
"Der Schatten ist der wunderlichste
Geselle von der Welt. Sobald ein Licht vor uns aufgeht, sei's die Sonne,
sei's eine Lampe, ist er da. Er streckt sich über die helle Fläche,
über die wir schreiten, kurz und gedrungen, oder riesenlang, daß
wir uns selber kaum erkennen, er fängt sich plötzlich an einer
weißen Wand, an der wir entlang gehen oder vor der wir stehen, und
jetzt sieht er uns zum Verwechseln ähnlich: jede Linie unseres Profils,
jedes Haar über unserer Stirne, jeder Knopf an unserem Rocke, jede
Falte an unserem Gewand prägt sich in voller Schärfe aus. Aber
sowie wir uns wenden, uns schräg zur Wand stellen, oder sowie unsere
Lichtquelle anfängt, sich zu bewegen, schweift der dunkle Geselle
zu den abenteuerlichsten Figuren und Fratzen aus und ist zu jeder Verwandlung
fähig. Immer aber bleibt er an unseren Füßen festgewurzelt.
Er kann uns belustigen, aber auch erschrecken. Und wir können mit
ihm spielen." Arthur Maximilian Miller
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Arthur Maximilian Miller gestaltete
mit seinen Brüdern aus schwarzem Karton Figuren und Kulissen für
das Schattentheater. Seine Figuren sind an mehreren Stellen durch Führungsstäbchen
beweglich. Als Schatten werden sie auf einen durchleuchteten Hintergrund
projiziert und können wie im Theater agieren.
A. M. Miller verfaßte für
sein Schattentheater mehrere Stücke: Für einige davon komponierte
sein Bruder Robert die Musik.
Maria durchs Gebirge ging, Mysterienspiel
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Guckkästen - Fenster zur Welt
Eine der frühen Formen des "Licht-Spiels"
sind die Guckkästen, die sich ab der Mitte des 18. Jahrhunderts als
selbstverständliche Volksbelustigung auf den Jahrmärkten etablieren.
Umherziehende Guckkastenmänner und -frauen tragen auf ihrem Rücken
nicht nur Unterhaltung, sondern auch die neuesten Nachrichten um die Welt.
Der Guckkasten ist ein im Inneren dunkles
Gehäuse mit Einblicköffnungen, die mit einer Sammellinse versehen
sind. In den ersten Guckkästen Ende des 17. Jahrhunderts liegen die
Bilder flach auf dem Gehäuseboden und werden über einen Spiegel
betrachtet. Später werden die Bilder an der Rückwand des Kastens
befestigt und können direkt durch die Sammellinse wahrgenommen werden.
Dadurch sind bei den Vorführungen originelle Beleuchtungseffekte möglich.
Fensteröffnungen oder Laternenscheiben auf den Stichen werden beispielsweise
ausgeschnitten und dann mit farbigen Papieren hinterklebt. Mit einer künstlichen
Beleuchtungsquelle im Inneren des Guckkastens oder mit dem von hinten durchdringenden
Tageslicht können so dem erstaunten Publikum Sonnenuntergänge,
Festbeleuchtungen oder Feuersbrünste überzeugend vorgeführt
werden.
Der Guckkasten öffnet dem Publikum
mit seinen Motiven die Augen für die Welt. Wer in den Kasten guckt,
kann nun plötzlich Städte besuchen, von deren Existenz bisher
kaum einer wußte, durch Paläste spazieren, Naturkatastrophen
und politische Ereignisse hautnah erleben.
Der Guckkasten ist bereits ein aktuelles
Massenmedium, historische Augenblicke sind oft schon wenige Tage, nachdem
sie sich ereignen, von Zeichnern und Stechern auf Guckkastenblätter
gebannt und vervielfältigt.
Eines der Hauptzentren der Herstellung
solcher kolorierter Kupferstiche ist die Stadt Augsburg (Beitrag von Wolfgang
Seitz in diesem Buch und Farbseiten).
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Kulissenbilder
Eine Kulissenbildserie besteht aus
sechs oder sieben kolorierten Kupferstichblättern, die hintereinander
gereiht in einen Guckkasten eingelegt werden. Sie sind im Mittelfeld ausgeschnitten
und erlauben dadurch den Blick durch die einzelnen Blätter hindurch
bis zum abschließenden Hintergrundbild ohne Durchsicht. Das vorderste
Blatt stellt meist eine Bühne dar, das hinterste eine Landschaftsszenerie
(siehe Farbseite 3).
Betrachtet man durch die Linse des
Guckkastens die gestaffelten Kulissenbilder, entsteht die Illusion von
Perspektive und Tiefenwirkung. Man glaubt, in die dreidimensionale Tiefe
eines Raumes zu schauen.
Kulissenbilder entstanden ausschließlich
im 18. Jahrhundert im Verlag Martin Engelbrecht in Augsburg in drei verschiedenen
Formaten. Neben biblischen Themen waren Stadtansichten, Feste und Feiern,
Alltagsmotive sowie Katastrophen sehr beliebt.
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Die Illusion der Bewegung
Ab 1840 werden in Europa optische Spielereien
besonderer Art angeboten: Das Thaumatrop (Wunderscheibe), das Phänakistiskop
oder Stroboskop (Lebensrad) und das Zoetrop (Lebensdreher oder Wundertrommel).
Ihre Attraktivität beruht auf
zwei Eigenschaften der Wahrnehmung, deren Erkenntnis auch die Geschichte
der Projektion nachhaltig verändert, dem stroboskopischen Effekt und
dem Nachbildeffekt.
Der Nachbildeffekt kommt dadurch zustande,
daß ein Lichtreiz, der auf das Auge einwirkt, nicht sofort erlischt.
Wenn die Abbildung einer Wahrnehmung auf der Netzhaut abrupt von einer
anderen unterbrochen wird, wirkt die erste noch eine Weile nach. Dies ist
ein physiologisches Phänomen des menschlichen Auges.
Der stroboskopische Effekt dagegen
wird im Bewußtsein des Betrachters hervorgerufen, er ist also psychologischer
Natur. Werden Einzelbilder von Bewegungsabläufen mit geringfügigen
Phasenabweichungen scharf abgegrenzt nacheinander wahrgenommen, entsteht
der Eindruck einer Bewegung. Dieser Moment der Täuschung ist die Voraussetzung
für das filmische Sehen, das von der Nachbildwirkung noch unterstützt
wird.
Lebensrad und Wundertrommel
Die erste Vorführung eines kontinuierlichen
Bewegungsablaufes gelingt im Jahr 1832 mit dem Lebensrad. Angeregt durch
die Funktionsweise des Faraday'schen Rades haben der Wiener Simon Stampfer
(1792-1864) und der Brüsseler Joseph Plateau (1801-1883) unabhängig
voneinander das Lebensrad erfunden. Auf eine runde Scheibe werden Bewegungsphasen
etwa eines Tanzes gezeichnet. Zwischen den einzelnen Bildphasen werden
Sehschlitze in der Scheibe angebracht. Die Betrachtung der Szene vor einem
Spiegel führt zu folgendem Effekt: Blickt man bei schnell drehender
Scheibe durch die Sehschlitze, sieht man im Spiegel eine scheinbar ruhende
Scheibe und einen sich drehenden Tänzer. Spätere Modelle trennen
Sehschlitze und Phasenbilder, so daß der Spiegel unnötig wird.
Die Wundertrommel wird 1833 von dem
Engländer William George Horner (1786-1837) vorgestellt, sie ist eine
Weiterentwicklung des Lebensrades. Die Bewegungsphasen sind hier auf Papierstreifen
gezeichnet oder gedruckt, die in die Trommel eingelegt werden. Beim Drehen
blickt der Betrachter durch die angebrachten Seh-
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schlitze. Diese bewirken wie beim Lebensrad
den stroboskopischen Effekt. Bei der Wundertrommel können erstmals
mehrere Zuschauer gleichzeitig den sich ständig wiederholenden Streifenfilm
betrachten.
Das Praxinoskop
Im Jahr 1877 meldet der französische
Professor für Naturwissenschaften Emile Reynaud (1844-1918) das Praxinoskop
oder den Tätigkeitsseher zum Patent an. Es ist eine Vervollkommnung
der Horner'schen Wundertrommel. Der Bewegungsfluß und die Helligkeit
sind erheblich verbessert, da die Phasenbilder nicht mehr durch Sehschlitze,
sondern über Spiegel im Inneren der Trommel betrachtet werden. Die
Anzahl der Spiegel entspricht der Anzahl der Bewegungsphasen.
Zwei Jahre später entwickelt Reynaud
ein Praxinoskop- Theater. Die Szenerien der Bildstreifen spielen sich nun
vor austauschbaren Szenenhintergründen ab. Diese Version wird so populär,
daß sie als "Hauskino der achtziger Jahre" bezeichnet wird.
1892 eröffnet Reynaud sein Theatre
Optique. Er hat es geschafft, sein Praxinoskop- Theater für ein großes
Publikum projizierbar zu machen, indem er die Prinzipien des Lebensrades
und der Zauberlaterne vereint. Eine Laterna magica projiziert einen Hintergrund,
über eine zweite Laterna magica werden die Phasenbilder einer Bewegung,
die Reynaud auf Gelatinefolien malt, eingeblendet. Dazu ertönt passende
Begleitmusik und über kleine Metallzungen, die am Bildband befestigt
sind, werden Geräuscheffekte durch elektrischen Kontakt ausgelöst.
Die Illusion ist perfekt.
Doch der Erfolg des Kinematographen
ab 1895 überstrahlt das Reynaud'sche Unternehmen und läßt
es im Jahre 1900 eingehen.
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Laterna magica - das Spiel der bunten
Schatten
Der deutsche Jesuitenpater und Universalgelehrte
Athanasius Kircher (1601-1680) beschreibt 1671 in der zweiten Auflage seines
Werkes "Ars magna lucis et umbrae" als einer der ersten die Laterna magica
und ihre Funktionsweise.
Die Laterna magica (lateinisch) oder
Zauberlaterne hat sich aus den Prinzipien der Camera obscura und dem Schattenspiel
entwickelt: Eine künstliche Lichtquelle wird in einen dunklen Kasten
gestellt. Das Licht fällt durch eine kleine runde Öffnung, die
mit einer Sammellinse versehen ist, nach draußen. Ein zwischen Lichtquelle
und Linse gebrachtes Glasbild, dessen Motiv auf dem Kopf steht, wird stark
vergrößert und nicht mehr kopfstehend auf die gegenüberliegende
weiße Wand projiziert. Durch einen Hohlspiegel hinter der Lichtquelle
wird die Lichtstärke erhöht.
Nachdem das Prinzip der Laterna magica
bekannt ist, bemächtigt sich zuerst die Kirche ihrer Dienste: Durch
schreckliche Bilder von Tod und Teufel sollen die Gläubigen von der
"Begehung böser Taten" abgehalten werden. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts
entwickelt sie sich zu einer Attraktion auf den Jahrmärkten. Schausteller
ziehen mit den magischen, bunten und skurrilen handgemalten Glasbildern
in ihren Kästen von Ort zu Ort, erzählen Geschichten und berichten
von Neuigkeiten und Sensationen. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wird die
Laterna magica als seriöse Unterhaltungskunst auch in den Salons gepflegt
und in Universitäten und Schulen als wissenschaftliches Hilfsgerät
verwendet.
Ein Spektakel mit dem Phantascop
Mit den Einfällen genialer Unterhaltungskünstler
verwandelt sich die einfache Bilderschau mit der Laterna magica zu einem
kompletten lllusionsvergnügen. Ein unerreichter Meister dieses Metiers
ist der Belgier Etienne Caspar Robertson (1763-1837), der 1797 sogar aufgeklärte
Pariser in der düsteren Gruft eines Kapuzinerklosters das Fürchten
lehrt.
Mit seinen Phantasmagorien (Geistererscheinungen),
erweckt er Verstorbene für Sekunden wieder "zum Leben", indem er deren
Bilder auf Rauch projiziert. Er arbeitet bereits mit Rückprojektion.
Den Standort seiner auf Rädern fixierten Laterna magica, die er "Phantascop"
nennt, kann er geräuschlos verändern. Er läßt etwa
ein Bild als kleinen Lichtpunkt beginnen und ständig größer
werden, so daß sein Publikum annimmt, der Geist stürzt mitten
in es hinein. Die Vorführungen regen eine Vielzahl von Imitatoren
an, ihm nachzueifern: Henry Langdon Child, Albert Smith, Leopold Ludwig
Döbler und Paul Hoffmann.
Zur gleichen Zeit wie Robertson beschäftigt
sich der Stuttgarter Johann Carl Enslen (1759-1818) mit der Projektionskunst.
Wo er mit seinem Kunstkabinett gastiert, zeigt er in technisch vergleichbarer
Weise wie Robertson "Geistererscheinungen" und ein "optisches Ballett".
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Aktualitätenschau
Ägypten
Dies ändert sich in dem historischen
Augenblick, als Napoleon 1798 zu seinem Ägyptenfeldzug aufbricht.
In seinem Tross führt er viele Wissenschaftler und Künstler mit
sich, die vor Ort detaillierte Zeichnungen anfertigen. Sie werden nach
der Rückkehr Napoleons unter dem Titel "Description de l'Egypte" in
einem Zeitraum von 25 Jahren als Folge von 26 Bänden veröffentlicht.
Der Vesuv
Die Tätigkeit dieses Vulkans im
Lauf der Jahrhunderte ist durch viele Berichte dokumentiert. 1794 findet
in den Tagen vom 15. Juni bis zum 8. Juli eine Eruption mit verheerenden
Auswirkungen statt. Französische Jakobiner zitieren daraufhin dieses
Motiv der "befreienden Kraft" in der Revolutionskunst.
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Die Laterna magica als Spielzeug
Ab etwa 1885 werden in Nürnberg,
der damaligen deutschen Spielzeugmetropole, von verschiedenen Firmen Laterna-magica-Geräte
für Kinder hergestellt. In einer Holz- oder Pappschachtel befinden
sich im Standardset ein kleines Projektionsgerät mit einem Petroleumbrenner
und 12 Bildstreifen (nicht mehr handgemalt, sondern mit chromolithographierten
Abziehbildern) und vielfach ein Textheft, nach dem die Bilder zu erläutern
sind. Die Laterna magica hält um diese Zeit tausendfach Einzug in
die Kinderstuben. Sie bleibt lange Jahre, vor allem zu Weihnachten, ein
begehrtes Geschenk (siehe Farbseite 5).
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Nebelbilder
Ursprünglich ist mit diesem Begriff
nur der Vorgang der Überblendung bezeichnet, der durch die Verwendung
von Mehrfachprojektoren (Nebelbildapparate) möglich wird: Ein Bild
verschwindet "wie im Nebel" und ein neues taucht aus ihm auf.
Der Begriff wird im Lauf der Zeit für
alle Spezialeffekte der Projektion - Tag / Nacht, Sommer / Winter, Sonne
/ Regen -gebräuchlich. Aus den einfachen Laterna-magica-Bildern werden
kunstvoll handgemalte Glasminiaturen und schließlich photographierte
Motive, die mit aufwendigen Mechaniken ausgestattet sind. Dadurch werden
immer komplexere Bewegungseffekte möglich. Fast unmerklich wird nun
der Übergang von einem zum nächsten Bild, immer täuschender
werden Schneefall, wogendes Wasser oder emporloderndes Feuer dargestellt.
Damit nimmt auch die Vielfalt der Themen zu, von Astronomie, Geologie und
Weltliteratur bis hin zu militärischer Propaganda.
Die Künstler bleiben meist unerwähnt,
überliefert sind die Hersteller durch ihre Kataloge: Campender &
Westley, Millikin & Lawley in London, Krüss in Hamburg, Liesegang
in Düsseldorf. Eine Ausnahme ist Desh in Paris; er ist Maler und Hersteller
in einem und fertigt handsignierte Bilder. Mit der Erfindung der Photographie
weichen ab etwa 1870 die handgemalten den photographierten Motiven (siehe
Farbseite 4).
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Die Photographie - Abbild der Wirklichkeit
Am 19. August 1839 stellt Louis-Jacques
Daguerre (1789-1851) in Paris sein Verfahren zur Herstellung von Photographien
vor. Photographie ist die Kunst, die in der Camera obscura entstehenden
Bilder auf andere Art dauerhaft zu machen, als durch eine Zeichnung von
Hand.
Daguerre ist es gelungen, die eingefangenen
Bilder auf chemisch vorbehandelten Metallplatten festzuhalten. Sie werden
nach ihm "Daguerreotypien" genannt. Diese Erfindung ist wegbereitend, die
Nachricht geht wie ein Lauffeuer um die Welt. Die Idee der Authentizität,
des naturgetreuen Abbildes der Wirklichkeit, revolutioniert in Kürze
alle Bereiche von Kunst und Technik.
Die Photographie ermöglicht auch
neue optische Tricks und neue Verfahren, um Bewegung darzustellen, wie
beispielsweise die Stereophotographie und die Chronophotographie (Reihenphotographie).
Das plastische Bild oder das Stereoskop
Der Stereobetrachter ermöglicht
erstmals räumliches Wahrnehmen von zweidimensionalen Bildvorlagen.
Dieser Effekt beruht auf einem speziellen Aufnahmeverfahren: Ein Motiv
wird mit einem zweiäugigen Photoapparat aufgenommen, wobei die Distanz
der beiden Objektive dem Abstand zwischen dem menschlichen Augenpaar entspricht.
Der Schotte David Brewster (1781-1868) benutzt 1848 zum ersten Mal eine
solche Doppelkamera für stereoskopische Aufnahmen. Es entstehen zwei
voneinander geringfügig verschiedene Bilder. Bei der Betrachtung im
Stereoskop verschmelzen die beiden Bilder zu einem und die räumliche
lllusion entsteht.
Eine Vielfalt an Motiven wird angeboten:
Ferne Länder, Sehenswürdigkeiten, Humoresken und Erotika.
Das bewegte Bild oder das Mutoskop
Im Mutoskop findet sich das Prinzip
des "Daumenkinos" wieder aufgegriffen. Auf Papier gezeichnete Phasenbilder
werden gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch Reihenphotos ersetzt. Phasenbilder
von Bewegungsabläufen werden im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts
von Eadweard Muybridge (1830~ 1904) und Etienne-Jules Marey (1830-1904)
aufgenommen.
Im Mutoskop werden Hunderte dieser
Phasenbilder auf einer Mittelachse befestigt, die mit einer Kurbel gedreht
wird. Es entsteht eine erstaunlich lebendige Vortäuschung eines Bewegungsablaufes,
obwohl sich nur die Bilderrolle dreht. Meist mit Münzeinwurf versehen,
erfreuen sich die Mutoskope in Kneipen und auf Bahnhöfen großer
Beliebtheit. Hineinsehen kann immer nur einer, es bleibt beim intimen Blick.
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Lebende Photographien
Im Jahre 1895 ist es soweit: Die Geburtsstunde
des Kinematographen! Fast zeitgleich finden in diesem Jahr die ersten öffentlichen
kinematographischen Vorführungen statt. Am 1. November zeigen die
Gebrüder Skladanowsky in Berlin und am 28. Dezember die Gebrüder
Lumiére in Paris ihre ersten Filme.
Lebensrad, Photographie und Laterna
magica gehören zu den Paten dieses neuen Mediums. Das Publikum ist
schnell gewonnen. Die Zauberworte heißen "greifbar plastisch", "wie
in Wirklichkeit", "alles lebt". Jeder Vorgang auf der Leinwand wird zu
einem noch nie geschauten Wunder. Doch die Sehgewohnheiten müssen
den neuen Medien erst angepaßt werden. Noch fliehen die Zuschauer
von ihren Plätzen, wenn eine Schnellzuglokomotive ins Bild rast.
Die ersten Jahre des Films gehören
den fahrenden Schaustellern. Sie erkennen als erste, daß mit den
lebenden Photographien das Schaubedürfnis der Menschen schneller und
besser befriedigt werden kann als mit jeder anderen Attraktion. Der Film
hat danach Mühe, sich vom Ruf des Jahrmarktvergnügens wieder
zu befreien. Doch mit der Verbesserung der Aufnahme- und Wiedergabetechnik
wird das Kino ab etwa 1914 seßhaft (siehe Farbseite 6).
Die erste kinematographische Vorstellung
in Deutschland
Die Vorstellung findet am 1. November
1895 in Berlin im Großvarieté Wintergarten statt. Die Gebrüder
Skladanowsky führen unter großem Aufsehen ihr neu entwickeltes
Bioscop vor. Sie sind Schausteller und so verwundert es nicht, daß
die ersten "lebenden Photographien" eine Varieténummer sind. Dies
zeigen auch die Themen der Filme: Das boxende Känguruh, Komisches
Reck oder Acrobatisches Potpourri. Als erfahrene Nebelbildervorführer
begleiten die Skladanowskys die Vorstellung mit einer eigens dafür
geschriebenen Musik und blenden die Zwischentitel mit der altbewährten
Laterna magica ein.
Das Phonola
Wie Guckkasten und Laterna magica als
frühe Schaukünste sich ihre Tonbegleitung in der Drehorgel suchen,
so verbindet sich auch der Film - der bis 1929 noch stumm ist- mit der
Musik. Zuerst begleiten Klavierspieler das filmische Geschehen. Doch ist
diese Verbindung zwischen Bild und Ton anfänglich eher von Zufällen
als von Präzision bestimmt. Das Phonola, der Klavierautomat mit gelochten
Papierrollen, ist da schon zuverlässiger. Einer der Begründer
der deutschen Film- und Kinotechnik, Oskar Messter, unternimmt mit dem
Phonola erste Synchronisationsversuche: Er läßt spezielle Arrangements
auf Phonolarollen übertragen und entwickelt Vorrichtungen, um den
Film mit den Rollen synchron laufen zu lassen.
Historische Augenblicke
frühen optischen Sensationen
bieten ein intimes Blickerlebnis. Die Betrachtung eines Motivs oder Effekts
bleibt dem einzelnen vorbehalten, der durch Gucklöcher oder Sehschlitze
mitten in die Szene blickt. Er bestimmt Zeitpunkt, Dauer, Intensität
und häufig auch den Inhalt des Blickerlebnisses selbst.
Das
Abbildungsprinzip
der Camera obscura;
aus: Athanasius Kircher:
Ars magna lucis et umbrae, 1671.
links:
Silhouettierstuhl
nach Lavater
rechts:
La Silhouette du Lapin;
aus: Magasin pittoresque,
Tome XVII, 1849.
Arthur
Maximilian Miller (1901-1992)
Abbildungen:
Bauernköpfe.
Scherenschnitte von A.M. Miller,
1923
Kornauer WeihnachtsspieI , MysterienspieI
Oberuferer Paradeis- und Weihnachtsspiel,
Bearbeitung eines Mysterienspiels
aus dem 15. Jh.
Drei Menschen und der Tod, Mysterienspiel
Das Herz auf der Zeder, Märchen
für Erwachsene
Das Sternenmädchen, Märchen
für Erwachsene
Die Hochzeitsblume, Märchen für
Kinder
Die Purpurlampe, Märchen für
Kinder
Szene aus "Maria
durchs Gebirge ging
aus: Mein Schattentheater,
Kempten 1985
aus:
Joseph Wolff:
Narren- Kurtzweil,
Augsburg 1754
Guckkasten
mit
Kulissenbildern,
um 1800
Stroboskop
von S. Stampfer
Praxinoskop-
Theater,
Emile Reynaud,
Paris 1880
Die Vorstellung von Ägypten und
den sagenhaften Pyramiden ist um 1770 noch verschwommen und unklar. So
ist das Zustandekommen des abgebildeten Guckkastenbildes mit der sehr eigenwilligen,
phantasievollen . Darstellung zu erklären.
Die
ägyptischen
Pyramiden in der
Vorstellung des
18. Jahrhunderts.
Guckkastenblatt von
Georg Balthasar Probst,
August, nach 1766
In der Geschichte der Naturkatastrophen
hat der Vesuv für den Menschen eine besondere Bedeutung. Jahrhundertelang
galt er als erloschen, bis am 24. August des Jahres 79 n. Chr. die Katastrophe
über Pompeji und Herkulaneum hereinbrach: Die beiden Städte wurden
unter einer sechs Meter dicken Lavaschicht begraben. Durch einen Zufallsfund
im Jahre 1748 begannen genauere Nachforschungen und die Ausgrabung beider
Orte.
Etikett
des
Verpackungskartons
einer Spielzeuglaterne
der Fa. Ernst Plank,
Nürnberg, um 1890.
Projektionslaterne
mit zwei Objektiven
aus: Das neue Universum, Bd. 3,
Stuttgart 1882
Mutoskop
im geöffneten Zustand.
Die Bilderrolle im Inneren wird
mit einer Handkurbel bewegt.
Klaviervorsetzapparat
Rex";
nach einer Anzeige
aus dem Jahre 1902
Textanfang